Lady Chatterley (German Edition)
gar nicht, wie, sie war viel zu nett für die Dickhäuter, mit denen sie zu tun hatte. Armes Ding, auch sie hatte etwas von der Verletzbarkeit der wilden Hyazinthen – sie war nicht von oben bis unten aus Hartgummi und Platin wie die Mädchen von heute. Und sie würden über sie hinweggehen. Sie würden über sie hinweggehen, das stand fest – so, wie sie über alles natürliche, zarte Leben hinweggingen. Zart! Sie hatte etwas Zartes, etwas von der Zartheit der knospenden Hyazinthen, etwas, das die Zelluloidfrauen von heute nicht mehr besaßen. Aber eine kleine Weile lang würde er sie beschützen mit seinem Herzen. Eine kleine Weile lang, bis die fühllose Eisenwelt und der Mammon mechanisierter Gier sie beide verschlang, sie und auch ihn.
Er ging heim mit dem Gewehr und seinem Hund, heim zum dunklen Haus, entzündete die Lampe, fachte das Feuer an und aß sein Abendbrot – Brot und Käse und junge Zwiebeln und Bier. Er war allein, eingehüllt in eine Stille, die er liebte. Sein Zimmer war sauber und aufgeräumt, doch sehr karg. Das Feuer aber flammte hell, der Herd war weiß, die Petroleumlampe hing mitten über dem Tisch mit dem weißen Wachstuch. Er versuchte, ein Buch über Indien zu lesen, aber heute abend vermochte er es nicht. Er saß in Hemdsärmeln am Feuer, rauchte nicht, hatte aber einen Krug Bier in Reichweite. Und er dachte an Connie.
Um die Wahrheit zu sagen: er bereute das, was geschehen war – vielleicht am meisten um ihretwillen. Böse Ahnung erfüllte ihn. Kein Gefühl des Unrechts oder der Sünde – Gewissensbisse dieser Art fochten ihn nicht an. Er wußte, daß Gewissensbisse Furcht vor der Gesellschaft bedeuteten oder Furcht vor sich selbst. Er fürchtete sich nicht vor sich selbst. Doch vor der Gesellschaft hatte er ganz bewußte Angst, denn instinktiv wußte er, daß sie eine böse, halb wahnsinnige Bestie war.
Die Frau! Wenn sie nur bei ihm sein könnte und es niemand sonst auf der Welt gäbe! Das Verlangen regte sich wieder, sein Penis stieg auf wie ein lebendiger Vogel. Zugleich wälzte sich ihm eine Last auf die Schulter, die Furcht, sich selbst und sie diesem Etwas draußen auszuliefern, das so böse funkelte in den elektrischen Lichtern. Sie, das arme junge Geschöpf, war einfach ein junges weibliches Wesen für ihn; aber ein junges weibliches Wesen, in das er eingegangen war und das er wieder begehrte.
Er streckte sich mit seltsam gähnender Begierde – seit vier Jahren hatte er allein gelebt, getrennt von Mann oder Frau –, stand auf und nahm wieder seinen Mantel und sein Gewehr, schraubte die Lampe herunter und ging mit dem Hund hinaus in die gestirnte Nacht. Von Sehnsucht getrieben und von der Angst vor dem bösen Etwas draußen, machte er seine Runde im Wald, langsam, behutsam. Er liebte die Dunkelheit und schmiegte sich in sie. Sie umschloß seine schwellende Begierde, die trotz allem ein Reichtum war – die erregende Unruhe seines Penis, das erregende Feuer in seinen Lenden. Oh, wenn es doch nur andere Menschen gäbe, mit denen man gemeinsam dies funkelnde elektrische Etwas dort draußen bekämpfen könnte, mit denen man die Zartheit des Lebens, die Zartheit der Frauen bewahren könnte und den natürlichen Reichtum der Begierde. Wenn es nur Menschen gäbe, mit denen man Seite an Seite kämpfen könnte! Aber die Menschen waren alle dort draußen, rühmten sich dieses Etwas, triumphierten oder wurden niedergetrampelt im Ansturm der mechanisierten Gier oder des gierigen Mechanismus.
Constance war durch den Park gerannt, nach Hause, fast ohne zu denken. Ihr kam noch kein Nachgedanke. Sie würde noch rechtzeitig zum Abendessen kommen.
Zu ihrem Verdruß jedoch fand sie die Türen verschlossen, und so mußte sie läuten. Mrs. Bolton öffnete ihr.
«Ach, da sind Sie ja, Euer Gnaden! Ich überlegte schon, ob Sie sich vielleicht verlaufen hätten!» sagte sie ein wenig hinterhältig. «Aber Sir Clifford hat noch nicht nach Ihnen gefragt; Mr. Linley ist bei ihm, sie besprechen irgend etwas. Es sieht so aus, als ob er zum Abendbrot bleiben würde, meinen Sie nicht, Mylady?»
«Ja, es scheint so», sagte Connie.
«Soll ich das Abendessen um eine Viertelstunde verschieben lassen? Dann hätten Sie Zeit, sich in Ruhe umzuziehen.»
«Vielleicht wäre das ganz gut.»
Mr. Linley war der Generaldirektor der Grubenwerke, ein ältlicher Mann aus dem Norden; er besaß nicht genügend Tatkraft, um von Clifford geschätzt zu werden, war weder Nachkriegsverhältnissen
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