Lady Helenes skandaloeser Plan
aufeinander. Sie dachte überhaupt nicht gern an Mama, die gewiss um sie weinte. Aber so war das Leben nun einmal. Sie war einfach nicht dafür geschaffen gewesen, in dem trostlosen alten Pfarrhaus zu versauern.
Alina sah sich in ihrem Schlafzimmer um. Die einzige Linderung ihrer Langeweile bestand darin, so oft wie möglich die Maler und Tapezierer zu bestellen. Vielleicht sollte sie ihre Einrichtung wieder einmal ändern. Zurzeit war ihr Schlafgemach komplett mit rosa Seidenstoffen ausgestattet, im Farbton der zartesten Damaszenerrose. Ach nein, für einen Monat konnte es noch so bleiben.
Alina setzte sich vor die Frisierkommode, das einzige Möbelstück, das von Rees’ Frau im Zimmer geblieben war, und fuhr sich mit der Bürste durch das bereits wohlfrisierte Haar. Ihr war trostlos, absolut trostlos zumute. Rees komponierte meistens abends und lehnte es ab, sie auszuführen. Sie gingen also weder in Konzerte noch auf Bälle, ja nicht einmal in die Vauxhall-Gärten. Es musste Monate her sein, seit sie zuletzt ausgegangen waren. Und sie konnte auch nicht in die Garderobe der Oper gehen und mit den Mädchen schwatzen, denn deren Neid war ihr unangenehm. Aber sie vermisste dieses Leben, oh, es fehlte ihr so sehr! Diese intimen Gespräche über das letzte Paar Strümpfe ohne Laufmaschen, über verloren gegangene Strumpfbänder und nicht zuletzt die Spekulationen, wer für die Hauptrolle vorsingen durfte …
Linas Augen verdunkelten sich.
Er
hatte sie aus dem Kreis der Mädchen gerissen. Deshalb musste er sie jetzt zu dem Ort begleiten, an den sie wollte.
Rees hielt sich natürlich im Musikzimmer auf. Als Lina eintrat, raschelten die Papiere auf dem Boden. Es kam ihr vor, als ginge sie über eine Straße voller Abfall. Aber es war unvorstellbar, dass Rees erlauben würde, dass auch nur eines dieser Blätter fortgeworfen wurde – ebenso unvorstellbar wie Rees in einem Kleid. Das Bild des stämmigen Rees in einem Unterrock brachte Lina zum Kichern, und er schaute auf.
»Lina!«, sagte er brüsk, wie es seiner Gewohnheit entsprach. »Sing doch mal diese Phrase!«
»Ist das der Text?«, fragte sie unwillig. »
Ich tänzle durch den grünen Wald, der mit Tau bedeckt
. Was hält denn Fen davon? Dieses
Tänzle durch
ist sehr schwer, wenn nicht gar unmöglich zu singen.«
»Mir sind die Worte oder was du von ihnen hältst, verflucht egal«, entgegnete er ungeduldig. »Sing einfach bis zum Ende der zweiten Seite.« Sie kam seinem Wunsch nach.
»Die Melodie gefällt mir auch nicht«, äußerte sie dann mit giftiger Befriedigung. »Wie diese Zeile in die tiefere Lage fällt, das klingt ja furchtbar. Wie der Gesang einer Nonne!«
Rees presste die Lippen zusammen. »Mir gefällt gerade dieser Teil sehr gut.«
Lina wollte gerade noch etwas Bissiges über die Melodie äußern, als ihr wieder einfiel, dass sie ja zur Schneiderin wollte. Also beugte sie sich zärtlich über seine Schulter. »Vielleicht habe ich einfach zu schnell gesungen. Lass es mich noch mal versuchen.«
Dieses Mal gab sie ihr Bestes. Und da Lina eine Stimme besaß, die es mit einer Francesca Cuzzoni, der besten Opernsängerin des vergangenen Jahrhunderts, aufnehmen konnte, war ihr Bestes tatsächlich sehr gut. Eigentlich, so fand sie, konnte sie jeder misstönenden Melodie zu einem besseren Klang verhelfen.
Rees sah nun zufriedener aus, was dem guten Zweck ebenfalls dienlich war. »Es ist eine reizende kleine Melodie. Ich habe mich geirrt«, gurrte sie ihm ins Ohr. »Rees, ich möchte, dass du mich zu Madame Rocques Salon in der Bond Street begleitest.«
Er wich ihrem Kuss aus und kritzelte schon wieder eifrig auf das Blatt.
»Ich tue auch alles … alles, was du willst. Heute Nacht«, flüsterte sie kehlig und lehnte sich an ihn.
Dieses Mal schob er sie sogar von sich. »Herrgott, Lina, siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin? Such dir einen anderen Dummen für deine Spielchen!«
Lina überlegte scharf. Madame Rocque fertigte die hinreißendsten Modelle in ganz London, aber wie Lina zu ihrer Wut hatte feststellen müssen, wurde sie in dem vornehmen Modesalon wie Abwaschwasser behandelt, wenn der Earl sie nicht begleitete.
»Wenn wir zurückkommen, singe ich dir die ganze Arie vor«, versprach sie, ohne den kehligen Tonfall zu bemühen. Rees kam ohnehin kaum noch in ihr Bett. Tatsächlich war es Monate her, seit er das letzte Mal in ihrem Schlafzimmer gewesen war, wenn sie sich recht entsann. Und Rees’ Fähigkeiten auf diesem Gebiet waren
Weitere Kostenlose Bücher