Lady Helenes skandaloeser Plan
machen wollte, dass sie nicht willkommen war.
Nun ja, damit konnte sie leben. Es gab andere Modistinnen, die die Geliebte des schwerreichen Earls von Godwin mit Begeisterung einkleiden würden. Aber Lina wollte die Beste. Wenn sie schon mit Rees leben musste, dann verdiente sie nur das Beste, und das bedeutete, einen Salon zu frequentieren, in dem nur die Vornehmsten einkauften.
Sie nahm also auf einem zierlichen, mit grüner Seide gepolsterten Stuhl Platz und übersah gnädig, wie unterwürfig Madame Rocque Rees umschmeichelte. Vielleicht sollte sie ihre Gemächer auch in diesem Grün ausstatten. Das würde dann so aussehen wie der erste Frühlingshauch in den Bäumen hinter dem Pfarrhaus ihres Vaters. Lina schlug die Beine übereinander und wippte leicht mit dem Knöchel. Sie war gewillt zu warten.
Sobald Madame Rocque das Ankleidezimmer verlassen hatte, zog Rees ein Blatt aus der Tasche und begann wieder eifrig Noten zu kritzeln. Madame Rocques Salon war nach Linas Meinung unsolide gebaut. Selbst die schweren grünseidenen Draperien hinderten einen nicht, genau zu hören, was im Nebenzimmer vor sich ging. Dort führten gerade zwei Damen ein höchst interessantes Gespräch.
»Die Männer wollen eine gewisse Menge Busen sehen«, sagte die eine Dame. Sie besaß eine honigsüße, heisere Stimme, die Lina an eine Schauspielerin gemahnte. Es war eine Altstimme, eine verführerische, üppige, tiefe Altstimme. Die Männer mussten diese Stimme anbeten: Die Frau könnte auf der Bühne ein Vermögen verdienen.
Die andere Frau hatte eine höhere Stimme, die ein wenig wie eine Glocke klang. Eigentlich ähnelte sie sehr Linas Stimme, konnte also als Sopran gelten. Der Sopran war offensichtlich anderer Meinung als ihre Freundin, was sehr töricht war. Lina neigte ganz der Ansicht der Altstimme zu. Zeige einem Mann nur ein wenig Busen, und er wird eine Menge Unsinn daherschwatzen. Sie warf einen Blick auf Rees. Der war die Ausnahme von dieser Regel. Ich könnte mein Kleid bis zur Taille hinablassen und es würde ihm nicht einmal auffallen, dachte sie bitter. Er hatte nie viel Interesse an Linas Brüsten gezeigt, selbst in jenen ersten Wochen nicht, als er noch so erfreulich aufmerksam gewesen war.
Und wenn sie im Bett lagen, hätte sie ebenso gut ohnmächtig sein können, so spärlich waren seine Liebkosungen. Lina besaß jedoch viel Übung darin, ihre Gedanken von deprimierenden Themen loszureißen, und so wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder der Unterhaltung im Nebenzimmer zu.
Die Altstimme wirkte mittlerweile ein wenig gereizt. »Wie in aller Welt willst einen Mann auf dich aufmerksam machen, wenn du dich wie eine Puritanerin kleidest?« Der Sopran war also auf der Suche nach einem Ehemann. Sie hatte wohl gerade die Trauerzeit hinter sich gebracht, denn für eine Debütantin klang ihre Stimme entschieden zu erwachsen. In diesem Augenblick kam Madame Rocque plappernd in das Zimmer der Damen – dort steckte sie also! –, und Lina hörte das Rascheln von Seide, als die Kleider präsentiert wurden.
Die Altstimme verfügte offensichtlich über Erfahrung. »Wir probieren dieses an«, sagte sie kühl. Lina merkte sich ihren Ton. Wenn sie selber mit Madame Rocque sprach, konnte sie es nicht verhindern, dass ihre Stimme einen flehenden Ton annahm.
Man vernahm ein Rascheln, als das Kleid über die Schultern des Soprans gezogen wurde (stellte sich Lina vor), und dann begannen die Altstimme und Madame Rocque das Gewand zu preisen.
Der Sopran fiel ihnen jedoch entschieden ins Wort. »Ich sehe darin aus wie eine Orange ohne Schale«, behauptete sie. »Weil diese Seide einen sehr eigenwilligen Gelbton hat, Madame, wenn Sie mir meine Offenheit verzeihen wollen.«
Zweifellos hatte Madame Rocque der Dame eines ihrer neuesten Modelle präsentiert: ein Kleid, das im Rücken tief und vorn noch tiefer ausgeschnitten war. Es ließ auch die Schultern frei. Lina wollte natürlich auch eines dieser Gewänder besitzen, seit sie die Beschreibung in
La Belle Assemblée
gelesen hatte.
Die Altstimme tat ihr Bestes, um ihre Freundin zu überzeugen. »Du siehst wirklich glänzend aus …«
Doch der Sopran schien viel praktischen Sinn zu besitzen. »Nein, durchaus nicht. Ich sehe aus wie ein gerupftes Huhn. Es hat keinen Sinn, ein Kleid zu tragen, das dazu gemacht ist, den Busen auszustellen, wenn man keinen Busen besitzt!«
Das war vernünftig argumentiert, fand Lina. Es gab nichts Schrecklicheres als knochige Schultern. Mit einigem Stolz
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