Lady Helenes skandaloeser Plan
keiner, wie sie eigentlich aussieht. Gehört haben wir natürlich schon von ihr, aber wer hat sie
gesehen?
Ich glaube wirklich, dass ihr kurzes Erscheinen in der Oper – und das ist zwei Jahre her – das erste und einzige Mal war, dass Rees sie der Gesellschaft vorgeführt hat.«
»Sie wird eine Halbmaske und einen Domino tragen«, verriet Helene. »Es ist also nicht sicher, ob du viel erkennen wirst. Aber es ist schön, dass du mitkommst, Esme. Denn die Gesellschaft von uns vieren erschien mir doch unerträglich intim.«
»Wie hält sich denn Rees’ Bruder?«, fragte Gina. »Ich vermag es kaum zu glauben, dass ein Vikar ein gefallenes Mädchen im Haus billigt – und nun will er sie gar nach Vauxhall begleiten!«
»Das ist das Verrückteste, was ich je gehört habe«, sagte Esme, als Helene gegangen war. »Und es wird mit Abstand der skandalöseste Abend sein, den ich je erlebt habe – und das in meinem langen, skandalumwitterten Leben. Wer hätte gedacht, dass unsere züchtige Helene sich derart zügellosen Ausschweifungen hingeben würde?«
28
Heimliche Flirts haben es in sich
Mayne drehte das kleine
billet-doux
mit höchster Befriedigung in den Händen. Es war förmlich und auf unschuldigem weißem Papier abgefasst, beileibe keine Einladung zu einem
Rendezvous
. Warum er so erleichtert war, es erhalten zu haben, wusste er nicht. Es hatte vermutlich etwas mit dem vernichtenden Vortrag seiner Schwester zu tun, die ihm dringend zur Heirat geraten hatte.
Griselda hatte natürlich recht. Er musste heiraten. Doch dies konnte er erst in Angriff nehmen, wenn er sich an dem zarten Leib Lady Godwins gelabt hatte. Mayne konnte sich keine Liebelei mit einer anderen Frau vorstellen, bevor er Helene nicht besessen hatte.
Der Anblick eines tadellos gekleideten Gentlemans, der von einer geschlossenen Kutsche ohne Wappen in eine Droschke umsteigt, ist im Hyde Park so alltäglich, dass er unbemerkt bleibt. Mayne schlenderte auf die Droschke zu, wobei er sich bewusst war, dass
sie
ihn aus einem der kleinen Fenster beobachtete und vermutlich seine Beine bewunderte. Er trug Pantalons, die nicht ganz der neuesten Mode entsprachen, weil er wusste, dass den Damen die engen, gestrickten Hosen des letzten Jahres sehr viel besser gefielen. Zum Glück waren sie nicht so altmodisch, dass er lächerlich gewirkt hätte … sondern eher verlockend.
Zu seiner Überraschung musste er an der Kutschentür feststellen, dass Helene durchaus nicht sehnsüchtig aus dem Fenster starrte. Stattdessen studierte sie stirnrunzelnd etwas, das wie eine Partitur aussah. Erst als Mayne ihr gegenüber Platz nahm und dem Lakaien bedeutete, die Tür zu schließen, schaute sie auf.
Als sie seine elegante Erscheinung bemerkte, war ihre Reaktion durchaus zufriedenstellend. Ihre Augen weiteten sich fast unmerklich. Mayne jedoch merkte, dass Trikot-Pantalons zwar gut aussahen, aber verdammt unbequem waren, wenn man einer schönen Frau nah gegenübersaß. Helene trug ein ähnliches Kleid wie zu Lady Hamiltons Ball, auch wenn es ein Kleid für den Nachmittag war. Und bezeichnenderweise hatte sie ihre Pelisse abgelegt, die neben ihr auf der Bank lag.
»Es ist mir in der Tat eine große Freude, Sie wiederzusehen«, sagte er. »Und ganz besonders, da ich ja weiß, dass Sie sich aus der Gesellschaft zurückgezogen haben.«
Helene schaute ihn ein wenig zweifelnd an. Nun, da sie Mayne bei Tageslicht sah, kam es ihr unwahrscheinlich vor, dass ein Mann wie er überhaupt Zeit mit ihr verbringen wollte, geschweige denn ihr den Hof machen. »Ich wünsche wirklich, dass meine Anwesenheit in London geheim gehalten wird«, sagte sie.
Das Lächeln auf seinen Lippen schien alle möglichen Verheißungen zu enthalten.
»Ich hoffe, Sie in dieser Hinsicht niemals zu enttäuschen«, sagte er zärtlich, nahm ihre Hand und drückte einen Kuss auf ihre Handfläche.
Du meine Güte! Helene verspürte plötzlich das Bedürfnis, sich mit der Partitur Luft zuzufächeln. Rees glaubte, sie fahre aufs Geratewohl in London herum, und hatte ihr die Partitur mitgegeben. Natürlich konnte er es nicht billigen, wenn sie Zeit vertat, ohne an seiner Oper zu arbeiten.
»Sollen wir eine Landpartie machen?«, fragte Mayne, und seine tiefe Stimme hüllte Helene ein wie feinste Schokolade.
»Ich glaube nicht, dass wir Zeit dafür haben«, sagte sie nervös. »Ich muss zum Dinner zurück sein. Wir wollen den Abend in Vauxhall verbringen.«
»Wie interessant«, murmelte er. »Bei wem logieren
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