Lady in Rot (German Edition)
bezahlter Job für sie. Zwar kannte sie Xavier kaum, und sein bisheriges Verhalten war ihr nicht besonders sympathisch. Aber wie auch immer, er war ein Mensch, der das Risiko einging, eine Chance zu vertun, die er vielleicht nie wieder erhalten würde. Deshalb folgte sie der Stimme ihres Herzens.
„Der Scheich ist alt und gebrechlich“, erklärte sie behutsam. „Vielleicht haben Sie recht, und die ganze Sache beruht auf Missverständnissen. Vielleicht sind Sie gar nicht sein Sohn. Aber das werden Sie nur erfahren, wenn Sie nach Kharastan fliegen. Sobald Sie die Wahrheit kennen, steht es Ihnen frei, sie anzunehmen oder zurückzuweisen. Wie aber würden Sie sich fühlen, wenn er Ihr Vater wäre und Sie hätten diese Gelegenheit verpasst? Wenn Sie sich eine Chance erhalten wollen, Ihren Vater doch noch kennenzulernen, dann rate ich Ihnen zu handeln, bevor es zu spät ist.“ Laura sah ihn herausfordernd an. „Denn so ein alter Mann kann jederzeit sterben, Monsieur de Maistre.“
3. KAPITEL
Die Erwähnung des Todes lud die Atmosphäre in dem luxuriösen Büro spürbar auf.
Ein wenig fassungslos blickte Xavier in das blasse, schöne Gesicht der Engländerin. Im nächsten Moment richtete er sich jedoch zu seiner vollen, imposanten Größe auf und meinte sarkastisch: „Möchten Sie mir nicht lieber noch etwas beichten, Chérie? Zum Beispiel, dass Sie für irgendeine Reality-Show im Privatfernsehen arbeiten und eine versteckte Kamera bei sich tragen, um mich heimlich in meinem Büro zu filmen?“
Völlig verblüfft, wollte Laura ihn schon fragen, warum er so unsäglich misstrauisch sei. Doch dann fielen ihr die unautorisierten Schnappschüsse im „Bonjour!“ ein, und sie begriff, warum Xavier sie so feindselig ansah.
„Verschwinden Sie jetzt“, sagte er ruhig.
So durfte dieses Treffen nicht enden! Laura schüttelte ungläubig den Kopf. „Aber Sie wollen doch ganz gewiss nicht …“
„Erlauben Sie sich kein Urteil darüber, was ich will oder nicht will!“, fiel er ihr wütend ins Wort. „Gehen Sie einfach – und zwar jetzt sofort! Maintenant !“
Laura sah ein, dass jedes weitere Wort reine Zeitverschwendung gewesen wäre. Also nickte sie wortlos, nahm eine ihrer Visitenkarten aus dem Aktenkoffer und legte sie auf den Schreibtisch. „Sie finden darauf meine Mobilfunknummer“, erklärte sie sachlich. „Ich habe ein Zimmer im ‚Paradis‘, falls Sie mich aufsuchen möchten.“ Automatisch griff sie nach dem Porträtfoto, zuckte jedoch zurück, als Xavier sie anwies: „Lassen Sie das hier. Wenn es, wie Sie behaupten, tatsächlich ein Foto meines Vaters ist, habe ich größeres Anrecht darauf.“
Laura hielt es für das Klügste, nicht zu widersprechen. Schweigend räumte sie das Feld und verließ das Büro von Xavier de Maistre mit hoch erhobenem Kopf, äußerlich ruhig und gefasst. Als sie jedoch auf den Bürgersteig im noblen achten Pariser Arrondissement hinaustrat, stellte sie fest, dass ihr die Knie zitterten. Ermattet winkte Laura sich ein Taxi heran, das sie im Kriechtempo durch den dichten Pariser Stadtverkehr zum „Paradis“ brachte.
War sie auf ihrer Mission womöglich schon an der ersten Hürde gescheitert? Diese Frage stellte sie sich, als der Hotellift sie in die Luxussuite hinauftrug, die der Berater des Scheichs für sie angemietet hatte. Er hatte auch darauf bestanden, eine Stylistin zu engagieren, die Laura gleich bei der Ankunft in Paris zu einer ausgiebigen Shopping-Tour begleitet hatte. Denn obwohl Laura den Verstand, die Diskretion und die nötige Qualifikation für diesen ungewöhnlichen Job zu besitzen schien, fehlte ihr offenbar die richtige Garderobe, um sich angemessen in den höchsten Gesellschaftskreisen bewegen zu können. Und auch wenn sie sich als Kleinstadtanwältin in ihrem marineblauen Business-Kostüm, kombiniert mit cremefarbenen Blusen, immer wohlgefühlt hatte, war sie heute bei ihrem Besuch bei Xavier de Maistre für ihr Haute-Couture-Outfit dankbar gewesen. Kleidung diente auch als Schutz, als glaubwürdige Fassade, hinter der man seine Unsicherheit verbergen konnte.
Sobald Laura die Tür der Suite hinter sich geschlossen hatte, streifte sie die Pumps ab und überlegte, was sie als Nächstes tun sollte. Untätig abwarten, ob Xavier nachdenken und sie anrufen würde? Und wenn nicht? Dann hätte sie die einmalige Gelegenheit verpasst, Paris zu erkunden. Sie würde früh genug erfahren, ob sie ihre Mission, Xavier nach Kharastan zu bringen, doch noch
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