Lady Lavinias Liebestraum
“Falls die Liebe sie blind gemacht hat, werden wir ihr rechtzeitig die Augen zu öffnen wissen, Corringham.”
“Wie sollen wir das anstellen?”
“Warten wir es ab.”
Mit dieser Antwort musste James sich zufriedengeben, obgleich seine Sorge um Lavinia nicht geringer geworden war. Hatte Wincote Lady Graham tatsächlich binnen weniger Sekunden die Juwelen abgenommen, würde es ihm ein Leichtes sein, eine junge Dame, die glaubte, verliebt zu sein, in seinen Bann zu ziehen. Würde er sie um ihr Vermögen bringen, wäre dies zwar ungeheuerlich, doch viel tragischer noch mutete es James an, bräche der Mann ihr das Herz. Allein der Gedanke war ihm unerträglich.
Da die Auseinandersetzung zwischen dem königlichen Ehepaar traurige Fortsetzung fand, sich sogar zuzuspitzen begann, beschloss Lavinia, die Anzahl der Proben pro Woche zu erhöhen, in der Befürchtung, das Theaterstück käme sonst gar nicht zur Aufführung. Sie stürzte sich gleichsam in die Arbeit und lernte fleißig ihren Text, denn auf diese Weise kam sie nicht zum Grübeln. All die Gedanken um Lord Wincote und James verwirrten sie in fast unerträglichem Ausmaß. Ist Edmund womöglich bereits Herr über meinen Willen, fragte sie sich insgeheim, und wie würde er sich ihr gegenüber gebärden, wenn sie sich das nächste Mal sahen? Würde er ihr seine Missbilligung darüber aussprechen, dass er vor allen Leuten zurechtgewiesen worden war? Würde er sich womöglich weigern, weiter an ihrem Projekt teilzunehmen? Die Arbeit an dem Stück war schon so weit gediehen, dass sein Fernbleiben einer Katastrophe gleichkäme.
Entgegen ihren Befürchtungen gab Lord Wincote sich bei der nächsten Zusammenkunft jedoch betont höflich, gar enthusiastisch, lobte Lavinias Talent geradezu überschwänglich und erzählte von seiner Heimat Cumberland, als habe er das kleine Intermezzo auf Lady Rattenshaws Soiree längst vergessen. James hingegen zeigte sich wenig mitteilsam und begann, was Lavinia Sorgen bereitete, offensichtlich das Interesse an ihrer Aufführung zu verlieren. Hatte er sich anfänglich noch große Mühe gegeben, seiner Rolle gerecht zu werden und damit ihr, Lavinia, einen großen Gefallen zu tun, spielte er den Demetrius nun ohne jedwede Leidenschaft und Freude. Sie war ratlos ob dieser plötzlichen Veränderung und spürte, dass er sich von ihr zu distanzieren im Begriff war, obgleich sie sich nicht gestritten oder, wie so oft, geneckt hatten.
Beseelt von dem Wunsch, James darüber zu befragen, zog sie ihn nach der Probe zur Seite. “Auf ein Wort, James.”
“Was gibt es, Lavinia? Bist du unzufrieden mit mir?”
Obgleich er sich große Mühe gab, unbeschwert zu wirken, täuschte er sie nicht eine Sekunde. “Da du fragst – ich weiß, dass du dir mir zuliebe große Mühe gegeben und bislang wunderbar gespielt hast, doch zurzeit wirkst du eher teilnahmslos, als sei dir unser Stück gleichgültig geworden.”
“Meine Liebe, wäre dies der Fall, käme ich nicht immer wieder her. Davon abgesehen finde ich deine Einschätzung reichlich übertrieben, bedenkt man, wie abwesend du die ganze Probe über warst.”
“Das kommt davon, dass ich mir Sorgen um dich mache, James.”
“Um mich? Ich denke, du brauchst dir über einen alten Junggesellen wie mich keine Gedanken zu machen.”
“Du, ein alter Junggeselle!”, rief Lavinia amüsiert aus, wurde aber umgehend wieder ernst. “Oh James, was ist mit dir?”
Er setzte ein steifes Lächeln auf. “Was soll mit mir sein, meine Liebe?”
Lavinia machte eine hilflose Geste. “Ich weiß es nicht. Du bist nicht du selbst.”
“Nein?” Er betrachtete sich kritisch in dem hohen Spiegel, der die Wand zwischen den französischen Fenstern zierte. “Doch, das ist unverwechselbar das Antlitz von James Corringham, daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen.”
“James, sei nicht so albern”, schalt sie ihn und stützte die Hände in die Hüften. “Ich meine es ernst. Denkst du, ich kenne dich so wenig, dass ich nicht bemerke, wenn dich etwas bedrückt?”
“Meine liebe Lavinia, du hast zu viel Fantasie. Mir geht es wirklich gut.”
“Dir liegt hoffentlich nicht noch immer Lord Wincotes Vorführung bei Lady Rattenshaw auf der Seele.”
“Warum sollte sie?” Sein Bemühen, gleichmütig zu wirken, wurde auf eine harte Probe gestellt. Wie gern hätte er Lavinia einfach in seine Arme genommen, sie geschüttelt und ihr die Augen über Wincote geöffnet, um sie darauf mit zärtlichen Küssen zu
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