Lady Marys romantisches Abenteuer
das Chorgestühl. „Ich habe ihn schon einmal gesehen“, flüsterte sie mit mühsam beherrschter Aufregung. „Zumindest glaube ich es. Ich erinnere mich an das große Loch, das er hinten in einem seiner Strümpfe hat. Er ist einer von diesen Männern, die im Hof des Stalles herumstehen und so tun, als ob sie dorthin gehörten, es meistens aber nicht tun.“
„Ich würde sagen, das versucht er hier auch.“ Er kauerte sich neben sie. „Nein, schauen Sie nicht wieder hin.“
„Wissen Sie, wer er ist?“
„Keine Ahnung“, meinte John. „Ich weiß nur, dass er uns gefolgt ist. Haben Sie einen Spiegel bei sich?“
Sie nickte, während sie in die Tasche unter ihren Röcken griff. Seltsam, wie alle Verlegenheit, die sie zuvor gequält hatte, jetzt, wo sie ein gemeinsames Ziel hatten, einfach dahinschmolz. Sie gab ihm den kleinen Spiegel, den sie stets bei sich trug.
John nahm ihn und grinste. „Immer auf alles vorbereitet, nicht wahr?“
„Es ist kein Fehler, praktisch veranlagt zu sein.“ Sie sah zu, wie er den Spiegel in die Hand nahm und ihn vorsichtig kippte. Von der glänzenden Oberfläche reflektiert, konnten sie den Mann im grünen Rock sehen, den sie jetzt dabei ertappten, wie er den Hals nach ihnen reckte. Auf seinem Gesicht lag ein schrecklich gemeiner Ausdruck. Es war das Gesicht eines Schurken, dachte Mary sofort.
„Was für ein frecher Kerl“, sagte John, „und im Dienst eines anderen. Er ist nicht klug oder besonnen genug, um auf eigene Rechnung zu arbeiten.“
„Ich bin mir sicher, ihn vom Gasthof her zu kennen“, flüsterte Mary. „Nicht seinen Namen, aber das Gesicht.“
„Zweifellos“, bestätigte John. „Lassen Sie uns sichergehen, dass er wirklich hinter uns her ist.“
Er erhob sich und machte ein solches Aufhebens, als er Mary von einem Chorgestühl zum nächsten führte, dass sie fast kichern musste. Jedoch: Der nächste Blick in den Spiegel zeigte, dass der Mann ihnen nicht nur gefolgt, sondern auch näher an sie herangeschlichen war.
„Er wird uns hier nichts tun, nicht in der Kathedrale“, meinte Mary mit wachsendem Unbehagen. „Und dieses Mal können Sie meinem Engel nicht die Schuld geben.“
„Ja, wirklich seltsam.“ John sah zum Ende des Chorgestühls hin. „Wie schnell können Sie gehen?“
„Ich kann rennen, wenn ich muss.“ Sie hob den Rocksaum gerade hoch genug, dass er ihre Schuhe sehen konnte. Sie waren eher solide als elegant, und Mary hatte sie speziell für die Reise gekauft. „Ich sagte Ihnen doch, ich wäre ein praktisches Mädchen vom Lande.“
„Gut“, erwiderte er. „Ich möchte diesen Gauner loswerden, bevor er versuchen kann, irgendeinen Schaden anzurichten.“
Er reichte ihr den Arm, und sie schlenderten an dem Gestühl vorbei. „Wenn wir das Ende des Seitenschiffs erreicht haben, ducken wir uns nach links und schleichen um die Rückseite der Bänke herum. Es gibt dort eine Treppe, die unter das Mittelschiff und vielleicht auf die Straße zurückführt. Wenn Sie Fragen haben, fragen Sie jetzt, denn danach werden wir keine Zeit mehr dafür haben.“
Sie schüttelte den Kopf, während ihr Herz vor Aufregung raste. Sie hatte überhaupt nicht das Gefühl, in wirklicher Gefahr zu schweben, nicht durch diesen Lumpenkerl im grünen Rock, aber das hier – das war ein Abenteuer!
„Dann folgen Sie mir!“
Arm in Arm wandten sie sich nach dem letzten Chorgestühl um und erreichten einen engen Durchgang. Sobald sie außer Sichtweite waren, packte John Mary bei der Hand, und gemeinsam begannen sie zu rennen, durch eine Reihe von Steinbögen hindurch, vorbei an einem Schrein mit flackernden Opferkerzen und den finsteren steinernen Blicken von vier großen Aposteln. Die Tür war zur Rechten der Statuen. Es war eine niedrige geschwärzte Eichentür, die Mary an alte Geschichten erinnerte, die von verfluchten Türen handelten, Schlosstüren, die zu Hexen, Drachen und ruchlosen Kobolden führten.
John zog den Riegel zurück, schob die Tür auf und hielt sie auf, während er an Mary vorbei nach dem grün gekleideten Mann Ausschau hielt. „Schnell, Mary, schnell!“
Sie zögerte nur eine Sekunde. Wenn Hexen und Drachen Teil des Abenteuers waren, dann musste sie auch die auf sich nehmen. Sie raffte ihre Röcke an der Seite zusammen und tauchte ein in das unheimliche Halbdunkel. John folgte ihr dicht auf den Fersen.
Die Steinstufen waren schmal, viele Tritte hatten sie durch die Jahrhunderte ausgehöhlt. Die Treppe selbst war gewunden wie ein
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