Lady meines Herzens
niemals zugeben.
»Ach, wie dumm von mir«, fuhr Charlotte fort. »Dann müssen Sie auch Lady Millicent Strange kennen. Sie bewegt sich wie Sie in den besten Kreisen. Sie sind einander bestimmt schon vorgestellt worden.«
Während ihrer Kindheit war Miss Millicent Strange die imaginäre Freundin von Charlotte gewesen, die diese ständig zu Unfug anstiftete. » Das war Miss Millicent Strange«, hatte Charlotte immer gesagt. » Es tut ihr wirklich schrecklich leid.«
» Lady Strange und ich korrespondieren regelmäßig«, behauptete Lady Richmond. Sie nahm einen Schluck Wein und betupfte ihre Mundwinkel mit der Serviette.
Lady Hamilton presste die Lippen aufeinander.
»Dann müssen Sie wirklich eine ihrer besten Freundinnen sein. Schließlich hat sie solche Schwierigkeiten mit dem Schreiben seit diesem Unfall«, sagte Charlotte. Brandon hob fragend die Brauen, doch seine Schwester ignorierte ihn.
»Oh ja, ein schrecklicher Zwischenfall. Wir waren alle vollkommen am Boden zerstört, als es passierte«, antwortete Lady Richmond und setzte eine betrübte Miene auf.
»Und so schockierend! Man stelle sich nur vor, die Hand im Maul eines wilden Bären zu verlieren!«, rief Charlotte. »Damit rechnet doch niemand.«
Tatsächlich, das tat niemand.
Ihm entging nicht die Reaktion seiner Familie: Amelia hielt sich die Serviette vor den Mund, und Penelope presste die Lippen fest zusammen. Ihre Männer Lord Brentford und Lord Addison waren ebenso damit beschäftigt, ihr Lachen zurückzuhalten. Seine Mutter lächelte und strich über das Tischtuch, als müsste sie eine unsichtbare Falte glätten.
Der Duke of Richmond richtete seine Aufmerksamkeit auf das Dessert. Seine Tochter aber widmete der ganzen Angelegenheit nicht die geringste Aufmerksamkeit. Der Smaragdring drehte sich unablässig um ihren Finger.
»Ihre Handschrift ist nicht mehr dieselbe, und ihre Briefe zu lesen, ist seither recht schwierig«, fuhr Lady Richmond ungerührt fort.
»Charlotte, ich bin neugierig. Woher kennst du diese Miss Millicent Strange?«, mischte Brandon sich ein.
»Sie ist eine Lady «, gab Charlotte sich entrüstet. »Ich gehe mit ihrer Tochter, Miss Araminta Strange, zur Schule«, fuhr sie fröhlich fort. »Wir nennen sie Minty. Miss Minty Strange.«
Amelia begann zu husten. Ihr Mann reichte ihr fürsorglich ein Glas Wasser.
»Der Mutter einer Schulfreundin wurde die Hand von einem wilden Bären abgebissen«, wiederholte Brandon. Brentford entschuldigte sich und verließ die Tafel.
»Ja. Das ist eine Tragödie, nicht wahr?«, bemerkte Charlotte. Sie tupfte eine Träne aus dem Augenwinkel, die vermutlich ebenso falsch war wie Lady Millicent Strange und ihre Tochter Araminta.
Oh nein. Eine wahre Tragödie wäre es, wenn er bis an sein Lebensende Dinner wie dieses ertragen müsste.
Brandon spürte, wie sein Herz schneller und heftiger schlug. Er schaute auf die Uhr. Schon wieder. Kurz vor elf war es inzwischen. Die Diener traten vor und räumten die Dessertteller ab. Dieses Dinner hatte er Gott sei Dank bald überstanden.
Aber es war nicht das letzte. Er sah ein Leben vor sich, in dem er ständig Gespräche wie diese beim Dinner ertragen musste, bei denen es um winzige Details der Pferdezucht ging und sämtliche Mitglieder der besseren Gesellschaft, die auch nur entfernt mit Lady Richmond bekannt waren. Nicht zu vergessen eine Braut, die kaum verhehlen konnte, dass sie lieber woanders wäre.
So ein Benehmen war bereits beim Dinner unangenehm. Er stellte sich vor, wie unerträglich und qualvoll es erst in der Hochzeitsnacht sein würde. Brandon konnte sich nicht vorstellen, dass es mit zunehmender Übung und Gewöhnung besser wurde.
Mit Sophie aber … Mein Gott, er wollte sie! Er wollte sie so, wie ein Mann eine Frau begehren sollte. Brandon wollte sie küssen, ihre Brüste liebkosen, ihre Taille umfassen und sie vollständig in Besitz nehmen. In seinen Armen sollte sie keuchen, stöhnen und ihre Lust herausschreien. Er wusste, ihr Liebesspiel würde genau das sein – ein Liebes spiel, das seine Welt in den Grundfesten erschüttern würde.
Er rief sich zur Ordnung. Gentlemen dachten bei Tisch nicht über Sex nach.
Vielleicht war er gar nicht so sehr Gentleman, wie er immer gedacht hatte. Vielleicht steckte doch ein kleiner Wüstling in ihm. Vielleicht war jetzt der richtige Zeitpunkt, um als Mann zu handeln und Logik und Vernunft außer Acht zu lassen. Er musste sich den Tatsachen stellen:
Seine Verlobte liebte einen anderen
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