Lady meines Herzens
ersten Gang viermal auf die Kaminuhr geschaut. Eine Stunde und dreiundzwanzig Minuten später litt er noch immer Höllenqualen.
Am anderen Ende des Tischs hatte der Duke of Richmond sich an Amelias Mann gewandt. Lord John Brentford lauschte aufmerksam, während der Duke wieder einmal über sein Lieblingsthema schwadronierte.
Über das leise Murmeln der Frauen hinweg konnte Brandon ein paar Gesprächsfetzen aufschnappen. Zu Brentfords zahlreichen guten Eigenschaften gehörte, dass er ein ausgezeichneter Zuhörer war. Da er sich auch noch für das Thema interessierte und selbst Pferde auf seinem Land züchtete, befand Lord Richmond sich in der besten Gesellschaft.
John stellte ihm eine Frage. Der Duke antwortete ausführlich.
»Ein Hengst hat zwei Verpflichtungen«, dozierte der Duke laut. »Er muss die Herde beschützen und natürlich für Nachwuchs sorgen. Gelegentlich muss man ihn aber von Ersterem abhalten, damit er der zweiten Pflicht nachkommt. Das Leben als Hengst stelle ich mir manchmal recht einsam vor.« Er verstummte und dachte nach, nahm einen Schluck Wein. John nickte interessiert.
Die Aufgaben eines Hengstes waren der Rolle, die ein Mann in einer Familie einnahm, nicht unähnlich, wie Brandon fand. Es war ihm nicht entgangen, wie die Ankunft der Richmonds die Lebhaftigkeit seiner eigenen »Herde« spürbar gedämpft hatte. Er vermutete, Sophie würde sich mit größerem Erfolg in die Gruppe einfügen. Noch etwas, das er in seine Überlegungen einbeziehen sollte.
Wenn doch nur …
Wagte er es?
Brandon fragte sich, wo Sophie in diesem Augenblick war. Gott bewahre, saß sie in ihrem Schlafzimmer und weinte sich die Augen aus? Oder war sie wieder mit Alistair im Theater oder tanzte mit einem anderen Mann Walzer? Allein die Vorstellung schmerzte ihn.
Wenn sie bei ihm wäre, würden sie einander bestimmt schüchtern anlächeln und zuzwinkern und mühsam ihr Lachen unterdrücken, wenn etwas Lustiges gesagt wurde. Andererseits … Wenn sie als seine Verlobte an seiner Seite säße, wären die Richmonds nicht da. Man würde nicht über Pferde reden, und niemand würde mit seiner Verbindung zu angesehenen Personen protzen – und es gäbe bestimmt trotzdem viel zu lachen.
Wenn doch nur …
Durfte er es wagen …?
Brandon trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Sie sollte bei ihm sein und jetzt neben ihm sitzen. Er warf Clarissa, die an seiner rechten Seite saß, einen Blick zu. Sie hielt den Rücken kerzengerade und hatte die Hände im Schoß gefaltet. Ihre Finger drehten ständig an ihrem Verlobungsring. Sie antwortete höflich auf seine Versuche, ein Gespräch zu beginnen, doch blickte sie ihn nie an. Selbst im Licht der Kerzen wirkte sie seltsam blass.
Sophie würde an ihrer Stelle mit ihm und allen anderen plaudern und heimlich unter dem Tisch seine Hand halten. Sie fürchtete sich nicht vor ihm, wie es bei Clarissa offenbar der Fall war.
Wenn doch nur …
Wagte er es?
Lady Richmond warf ihrem Mann finstere Blicke zu, wenn sie nicht gerade Lady Hamilton und ihre Töchter gekünstelt anlächelte, die daraufhin höflich nickten und immer »hm-m« machten, sobald Lady Richmond eine Pause einlegte zwischen der Erwähnung ihrer innigen Freundschaft mit Lady Endicott und ihrem vertrauten Verhältnis mit Lady Chesterfield. Sie fragten höflich »Ach, tatsächlich?«, als Lady Richmond das hübsche Geschenk erwähnte, das sie von Lady Carrington erhalten hatte. Und sie sagten »Wie schön für Sie«, als Lady Richmond erklärte, wie glücklich sie doch sei, solche Freunde zu haben. Und dann fuhr sie fort, ihre Namen aufzuzählen, einen nach dem anderen …
Gelegentlich fing Brandon neugierige Blicke von seinen älteren Schwestern auf. Seine Mutter war inzwischen unempfindlich gegenüber Lady Richmond und ihrer lauten Art. Charlotte aber …
Charlotte amüsierte sich königlich. Es fiel Brandon schwer, ernst zu bleiben, denn er sah ihr förmlich an, dass sie einen Streich ausheckte. Ihm schwante nichts Gutes, als sie sich an Lady Richmond wandte.
»Sind Sie denn zufällig auch mit Walter Smythson bekannt?«, fragte sie unschuldig. Walter Smythson war der Schmied in dem kleinen Dörfchen nahe Thornbridge Manor.
»Aber natürlich, meine Liebe. Jeder kennt ihn«, antwortete Lady Richmond gönnerhaft. Amelia blickte auf und blinzelte ein paarmal heftig, als versuchte sie, diese Bemerkung zu verstehen. Es war absolut unmöglich, dass Lady Richmond ihn kannte. Und wenn sie ihn kannte, würde sie das
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