Lady meines Herzens
ihre Situation zu betrachten.
Brandon wollte jedenfalls nicht einfach beiseitetreten, nur weil ein anderer plötzlich Gefallen an seiner Verlobten fand. Und er würde ebenso wenig vor der Hochzeit zurückschrecken, weil er Gefallen an einer anderen Frau fand. So einfach war die Sache nicht.
Er hatte zwar diese lebhaften, erotischen Träume, in denen diese andere Frau eine wichtige Rolle spielte. Aber das hieß nicht, dass er bereit war, seine Meinung über die Werte zu ändern, die seit jeher seine Existenz bestimmt hatten. Er wollte eine Ehefrau, die ihn nicht von seinen wichtigen Aufgaben ablenkte, die seinem Stand entsprach und die er niemals würde lieben können.
Leidenschaft sollte man mit der gebührenden Zurückhaltung begegnen. Brandons Gefühle waren seit jeher von seinen Pflichten kontrolliert worden. Er fragte sich insgeheim, ob der Prinz überhaupt eine Ahnung hatte, was Verantwortung bedeutete, oder ob er sich einfach stets seinen Launen hingab.
Er hegte keinen Zweifel an den Gefühlen dieses jungen Welpen für Clarissa. Brandon fragte sich eher, ob der romantische Unsinn auch noch Bestand hätte, wenn der Prinz von den Schulden und den anderen Verpflichtungen erfuhr. Nicht zu vergessen Spencers beunruhigende Behauptung. Andererseits war der Prinz jung, reich und verliebt. Gut möglich, dass ihn all das nicht scherte.
Clarissa stand wohl oder übel unter Brandons Schutz, und diese Verantwortung nahm er nicht auf die leichte Schulter.
Er klingelte nach seinem Kammerdiener und seinem Sekretär. Sobald sie eintrafen, machten sich beide rasch an ihre Arbeit. Während Brandon sich rasierte – für einen Mann in seiner Stellung war es ungewöhnlich, dass er dies selbst erledigte, doch so war es ihm lieber –, legte Jennings ihm Kleidung für den Tag heraus, und Spencer las eine Liste der Termine vor, die heute anstanden.
»Zuerst müssen Sie ins Parlament«, begann Spencer.
»Findet heute eine wichtige Abstimmung statt? Oder lauschen wir nur gehaltlosen und todlangweiligen Reden?«
»Letzteres, Euer Gnaden. Das heutige Thema ist das Ehegesetz.«
Brandon setzte den Rasierer ab und genehmigte sich einen stärkenden Schluck heißen schwarzen Kaffee.
»Danach haben Sie Zeit für die Geschäftsbücher und andere geschäftliche Angelegenheiten«, fuhr sein Sekretär fort.
»Gut.«
»Lady Richmond hat geschrieben; sie möchte wissen, wie weit Sie mit der Sondergenehmigung sind. Ich habe mich nach dem genauen Vorgehen erkundigt. Der Gentleman, der zu heiraten wünscht, muss persönlich beim Erzbischof von Canterbury einen Antrag stellen, aber alle darüber hinausgehenden Arrangements kann ich dann für Sie erledigen.«
»Erinnern Sie mich später daran, dass ich mich um die Sache kümmere.«
»Außerdem habe ich noch die anderen Verpflichtungen notiert, die Sie vor der Hochzeit erledigen müssen. Ich habe mir erlaubt, eine Liste mit geeigneten Trauzeugen zu erstellen und ein paar erste Entwürfe für Ihre Hochzeitsrede zu schreiben.«
»Spencer, Sie sind ein Geschenk des Himmels.«
»Danke, Euer Gnaden«, sagte er. »Heute Abend dinieren Sie mit dem Duke of Richmond und den beiden Damen Richmond in Hamilton House, und morgen Abend werden Sie sie ins Theater begleiten.«
Brandon hatte sich fertig rasiert und nahm noch einen Schluck Kaffee. Vor ihm lag ein unglaublich öder Tag.
»Spencer, würden Sie behaupten, dies sei ein typischer Tagesablauf?«
»Ja, Euer Gnaden. Parlament, die Verwaltung Ihrer Güter, gesellschaftliches Leben. So geht’s jeden Tag.«
Eine schreckliche Ahnung beschlich Brandon. Sein Leben war öde. Lieber Himmel, er hoffte bloß, er selbst sei nicht öde! Aber jetzt verstand er allmählich, warum seine Mutter ihn ständig drängte, »auch einmal Spaß zu haben«.
»Danke, Spencer«, sagte Brandon. Sein Sekretär verließ den Raum. »Jennings.«
»Ich bin so weit, Euer Gnaden. Was für ein Tag, den Sie da vor sich haben, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf«, sagte sein Kammerdiener. Er half Brandon in die Stiefel.
»Sie dürfen, Jennings.«
Als Duke sollte er seinem Diener solche Freiheiten eigentlich nicht gestatten. Das wusste Brandon. Aber Jennings’ ehrliche Meinung über alles und jeden amüsierte ihn oft.
»Was für ein Tag«, fuhr der Mann fort. »Ich meine, das klingt doch schrecklich langweilig.«
»Was sind wir heute wieder ehrlich«, sagte Brandon. Aber insgeheim stimmte er Jennings zu. Er zog eine Weste an. Sie war grau. Einfach nur
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