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Laennaeus, Olle

Laennaeus, Olle

Titel: Laennaeus, Olle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das fremde Kind
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ganze Scheiß in die Luft geflogen.»
    Vor Konrads Augen flimmert es. Diese
so unerwartet glasklaren Erinnerungsfetzen, wie sind sie nur aus Kurt Nilssons Hirn
an die Oberfläche gedrungen? Das Ganze ist immerhin mehr als sechzig Jahre her.
Wie alt war er damals? Um die fünfundzwanzig, mehr als zwanzig Jahre jünger als
auf der Fotografie in Gudrun Vernerssons abgedunkelter Wohnung.
    Konrad sieht das Inferno vor sich,
in Schwarz-Weiß, wie auf allen Fotos aus dem Krieg. Er hört das Donnern der Explosionen
und nimmt den Geruch von Blut, Feuer und Rauch wahr. Verzweifelte Schreie von sterbenden
Soldaten, die nach ihren Müttern rufen, dringen an sein Ohr. Die Weidendammer Brücke,
dort, wo die Friedrichstraße den Fluss überquert. Wie oft hat er da schon gestanden
und in das braune Wasser hinuntergeschaut, das langsam unter der Brücke hindurchfließt.
Wie oft ist er dort unter den Straßenlaternen spazieren gegangen, Hand in Hand
mit Sonja, und hat sich mit ihr über alltägliche Dinge unterhalten. Wie viele Soldaten
ertranken an der Brücke? Deutsche, Russen. Und junge Schweden.
    Kurt Nilsson war dort, und er war einer
derjenigen, die überlebt haben.
    «Übrigens, hast du eben Polizist gesagt?»,
fragt er plötzlich.
    «Ja?»
    In Konrad keimt eine schwache Hoffnung
auf.
    «Ja, natürlich war ich Polizist. Es
war eine herrliche Zeit. Bin ich denn nicht immer noch Polizist? Oder war es, bevor
...»
    Kurt Nilsson schüttelt den Kopf, wie
um sein Gedächtnis in Schwung zu bringen. Sein Blick irrt unruhig umher. Er wirkt
müde und traurig.
    «Man hat ja so vieles erlebt. Und irgendwann
vermischt es sich im Kopf irgendwie zu Brei.»
    Konrad greift nach der halb gerauchten
Havanna, die auf der Untertasse gelegen hat und ausgegangen ist. Nikotin muntert
ihn auf, hat Gudan schließlich versprochen. Ohne zu fragen, steckt er Kurt Nilsson
die Zigarre wieder in den Mund und zündet sie mit dem Feuerzeug an. Der Alte zieht
gehorsam daran. Aschereste fallen auf seine karierte Decke hinab. Nach einer Weile
beugt sich Konrad über den Tisch und schaut ihm in einem Versuch, ihn wieder zurückzuholen,
tief in die Augen.
    «Erinnerst du dich an Agnes Stankiewic?
Die Frau, die spurlos verschwunden ist.»
    Kurt Nilsson blinzelt unter seinen
Augenbrauen.
    «Das klingt polnisch ... Ich habe Polacken
noch nie gemocht», brummelt er. Mit einem Mal scheint es, als würde die Luft unter
dem Sonnenschirm dünner werden. Sauerstoffärmer. Die Alten riechen muffig und verlebt.
Konrad fällt es schwer zu atmen, er ringt nach Luft.
    «Du hast die Ermittlungen im Hinblick
auf ihr Verschwinden geleitet. Agnes Stankiewic hieß sie.»
    Der Alte schnaubt.
    «Polacken! Wir haben sie innerhalb
von ein paar Wochen plattgemacht. Danzig ist wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen.
Sie konnten nicht so gut kämpfen wie die Russen. Sobald wir die Chance bekamen,
haben wir kurzen Prozess mit ihnen gemacht. Das hab ich nie bereut.»
    «Agnes Stankiewic! Was ist mit ihr
passiert?»
    Der Alte fährt in seinem Rollstuhl
zusammen. Plötzlich wirkt er verängstigt. Sein Blick irrt umher, und es scheint,
als sei er kurz davor, wieder in seiner eigenen Welt zu verschwinden.
    «Erzähl mir von ihr!»
    Konrad umfasst den hageren Arm des
Alten und schüttelt ihn, fester, als er eigentlich vorhat. Er spürt, wie es in seiner
Brust hämmert. Im letzten Augenblick gelingt es ihm, sich zu besinnen.
    «Lieber Onkel, erzähl mir, was meiner
Mutter zugestoßen ist...»
    Kurt Nilsson nimmt einen tiefen Zug
von seiner Zigarre, und einen kurzen Moment lang hat es den Anschein, als nähme
er wieder seine alte Autorität als Kommissar an. Er streicht sein Hemd glatt.
    «Deine Mutter?»
    Konrad nickt.
    «War diese ... Frau etwa deine Mutter?»
    Er vermag nicht mehr, als erneut zu
nicken.
    Plötzlich lacht Kurt Nilsson auf, woraufhin
sich ein sorgenvolles Lächeln in seinem faltigen Gesicht ausbreitet.
    «Ach ja, diese Geschichte. Sie war
ziemlich unangenehm, muss ich sagen. Nicht ganz astrein. Hätte nie geschehen dürfen.
Aber was soll man machen? Ich war ja gezwungen, mich, so gut es ging, darum zu kümmern.»
    Ein plötzliches Zwitschern der Spatzen
an der Vogeltränke erregt seine Aufmerksamkeit, und er wendet sich ab.
    «Wer zum Teufel hat meine Mutter getötet?»,
schreit Konrad verzweifelt.
    Im selben Augenblick kommt Gun mit
einer weiteren Pflegerin auf die Terrasse hinausgeeilt.
    «Was machen Sie denn da? Sehen Sie
denn nicht, dass Kurt Angst bekommt?»
    Die beiden

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