Laennaeus, Olle
in diesem Moment?
Hören sie sein Handy ab? Konrad spürt, wie ihm ein Schauer über den Rücken läuft,
als kröchen lauter kribbelnde Insekten unter seinem Hemd herum. Er versucht, sein
Misstrauen abzuschütteln.
Eigentlich, redet er sich ein, ist
doch das Entscheidende, selber zu wissen, dass er unschuldig ist. Das schwedische
Rechtssystem kann wohl kaum so blind sein, dass sie einen Unschuldigen verurteilen.
Oder?
«Du musst dich selber auf die Suche
nach der Wahrheit machen», sagt er laut und hört seine Worte mit Springsteen durchs
Seitenfenster hinausflattern.
Die Wahrheit worüber?
Wer Herman und Signe ermordet hat,
natürlich.
Doch Konrad ist irritiert darüber,
dass neben dieser Frage immer wieder eine andere in seinem Kopf auftaucht.
Winzige Erinnerungsfetzen formen sich
in seinem Hirn allmählich zu einem Ganzen. Die Bilder sind immer noch unscharf,
manche kaum zu erkennen. Doch Konrad beginnt zu ahnen, dass er eines Tages sehen
wird, was sie darstellen.
Agnes, wo bist du geblieben?
Das Handy reißt ihn aus seinen Gedanken.
Es liegt auf dem Beifahrersitz und summt, und Konrad ahnt nichts Gutes. Die Nummer
auf dem Display kennt er nicht.
«Ja?»
«Hej, hier ist Linus Persson von Expressen.
Legen Sie bitte nicht auf.»
Konrad seufzt tief. Es ist bereits
das dritte Angebot, seit Palander den Artikel über ihn und das Erbe von Herman und
Signe publiziert hat.
«Ich hab kein Interesse.»
«Warten Sie», ruft die Stimme aufgeregt.
«Sie sind doch selbst Journalist, Sie wissen doch, dass Ihre Story von enormem
allgemeinen Interesse ist.»
«Sie meinen, dass die Leute neugierig
sind? Das ist nicht mein Problem.»
«Ich dachte an ein größeres Interview,
in dem Sie über das, was damals in Bagdad passiert ist, und die jetzige Situation
im Hinblick auf die Morde an Ihren Adoptiveltern sprechen. Wr können Ihnen auch
eine Vergütung zahlen ...»
«Sorry, Sie sind bereits der Dritte,
der anruft.»
«Nun kommen Sie schon, zeigen Sie Solidarität
mit einem Kollegen.»
«Ich hab jetzt keine Zeit mehr.»
Plötzlich ist die Freundlichkeit in
Linus Perssons Stimme verschwunden.
«Sie verstehen sicher, dass wir auch
unabhängig von Ihrer Bereitschaft etwas über Sie schreiben. Sie sind verdammt nochmal
verdächtigt, zwei Morde begangen zu haben!»
«Tun Sie, was Sie nicht lassen können
...»
Konrad drückt das Gespräch weg. Flucht
im Stillen. Eigentlich würde er gern sein Handy ausschalten. Doch dann würde die
Polizei womöglich denken, dass er sich entzieht. Scheiß drauf, was Linus Persson
in seinem verdammten Käseblatt schreibt.
D as Wirtshaus
in Svinaberga liegt im Schatten unter einigen ausladenden Eichen, direkt an der
Straße. Ein düsteres Gebäude, umgeben von dichtem Grün, das sich den Hang hinaufzieht.
Etwas entfernt liegt eine Koppel mit Wacholdersträuchern, Felsblöcken und Kühen,
die sich unter die Bäume verzogen haben. Auf dem Hof befinden sich eine Benzinpumpe,
einige aufeinandergestapelte Obstkisten und ein altertümlicher roter Traktor. Konrad
hält an.
Er betritt einen dunklen Raum und sieht
erst mal gar nichts. Dann eine düstere, leere Gaststube, eingerichtet mit dunklem
Holz und billigem Teppichboden. Der Geruch nach verschüttetem Bier und abgestandenem
Suff ist unverkennbar. Auf einer Schiefertafel steht, dass man gebratenes Schweinefleisch
mit Zwiebelsoße für fünfundsechzig Kronen bekommen kann.
Hinter den Zapfhähnen am Tresen steht
ein Mann, der offenbar Besitzer, Koch, Kellner und Barmann zugleich ist. Er ist
dick. Trägt einen Ring im Ohr und mit Soße bekleckerte, kleinkarierte Hosen. Sein
gewaltiger Bauch, den ein schwarzes Hemd nur notdürftig bedeckt, hängt wie ein schlaffer
Rettungsring über seinen Gürtel.
Außer dem Wirt ist nur noch eine weitere
Person im Lokal. Ein drahtiges kleines Mädchen sitzt an einem Ecktisch mit einem
Berg Köttbullar und einer Plastikflasche mit Ketchup vor sich. Ihr Gesicht ist erstaunlich
faltig, als wäre sie vorzeitig gealtert. Sie runzelt die Stirn, hält ihre Puppe
fest umklammert und starrt sorgenvoll auf ihre Köttbullar.
«Ich nehme Schweinefleisch mit Zwiebelsoße»,
sagt Konrad zögerlich und versucht, seinen Blick von dem Mädchen zu reißen.
«Gute Wahl», bekräftigt der Dicke.
«Verdammt lecker, und macht ordentlich satt.»
Zehn Minuten später stellt er einen
Teller mit einem ansehnlichen Berg Fleischscheiben und in Soße getränkten Kartoffeln
auf den Tisch. Das Mädchen, wahrscheinlich
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