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Laienspiel

Laienspiel

Titel: Laienspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kobr Volker Klüpfel
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nicht, was denn nun ein Agnostiker genau glaubte.
    »Entschuldigen Sie, ich habe Ihre Frage noch nicht beantwortet«, kehrte Yildrim wieder zum Thema zurück. »Als Agnostiker weiß ich nicht, ob es Gott gibt. Sie könnten sagen, es steht unentschieden. Es gibt ebenso viele Gründe dafür wie dagegen. Niemand hat bisher die Existenz Gottes zweifelsfrei oder auch nur annähernd wissenschaftlich bewiesen.«
    »Verstehe«, sagte Kluftinger. »Sie sind also ein Atheist.«
    »Nein, ganz und gar nicht. Atheisten lehnen die Existenz einer transzendenten Macht von vornherein ab. Ich sage lediglich: Ich weiß es nicht.«
    Das Thema interessierte Kluftinger. Er hatte noch nie »so einen« kennengelernt. »Waren Ihre Eltern auch … also, das was Sie sind?«
    »Nein. Ich habe einen islamischen Familienhintergrund. Und ich habe auch heute noch große Sympathie für diese Religion. Meine Eltern haben mir ein vorbildliches, frommes, aber nicht frömmelndes Beispiel vorgelebt. Ich bin hier geboren. Mein Vater kam mit den ersten Gastarbeitern aus der Türkei in den frühen Sechzigerjahren nach Deutschland. Sie haben sich hier gut integriert, aber trotzdem ihren Glauben gelebt. Ich finde, das muss kein Widerspruch sein, auch wenn das heute von manchen Politikern behauptet wird. Meine Geschwister sind auch alle dem Islam treu geblieben. Aber ich respektiere die Riten und Traditionen, nach denen sie leben. Nur verbinde ich mit ihnen nichts Kultisches, eher etwas Kulturelles. Ich bin sozusagen das schwarze Schaf der Familie.« Bei diesen Worten grinste er und fuhr sich mit einer Hand durch sein pechschwarzes Haar.
    »Waren Ihre Eltern nicht schockiert, als Sie … heißt das auch austreten bei Ihnen?«
    »Na, einen Luftsprung haben sie nicht gerade gemacht. Wie würde Ihr Vater das finden, wenn Sie aus der Kirche austreten?«
    Kluftinger schnitt eine Grimasse. Daran wollte er nicht einmal denken.
    »Sehen Sie. Aber meiner hat es akzeptiert. Niemand hätte etwas davon, wenn Riten nur aus schlechtem Gewissen vollführt würden. Das sah auch mein Vater ein. Er ist sehr tolerant, müssen Sie wissen.
    Trotz seiner Religiosität.«
    »Da ist er aber die Ausnahme, oder?«
    »Sie meinen, im Islam?«
    Kluftinger nickte.
    »Oh, glauben Sie das bloß nicht. Der Islam ist keineswegs extremer oder gewalttätiger als andere Religionen. Ich glaube, viele wissen einfach zu wenig darüber. Da werden oft Politik und Religion verwechselt. Wenn es darum geht, wie sehr in der Geschichte die Religionen Toleranz gegenüber Andersgläubigen haben walten lassen, dann ist … ich sage jetzt einfach mal ›unsere‹, auch wenn ich selbst nicht mehr Teil davon bin … dann steht unsere jedenfalls eindeutig besser da als die christliche Welt.
    Was in der muslimischen Welt fehlt, ist so etwas wie im Westen die Aufklärung. Aber die kann man jetzt nicht einfach schnell einfordern, das ist ja ein Prozess. Und Provokationen sind da völlig fehl am Platz. Ganz nüchtern betrachtet, fällt die Bilanz der christlichen Religionen ja nicht gerade friedfertig aus: Denken Sie nur an die Kreuzzüge, die Inquisition. Ich weiß, das sind immer wieder gebrauchte Argumente, aber sie sind dadurch doch nicht weniger richtig. Ich will hier nicht als Anwalt des Islam sprechen, ich habe mich ja nicht umsonst distanziert. Aber ist es wirklich die Religion, die die Gewalt, das Töten auslöst?«
    Da Yildrim nicht weitersprach, nahm Kluftinger an, dass es sich um keine rhetorische Frage handelte. »Was denn sonst? Es geht doch im Islam immer um den rechten Glauben, das Streben zu Gott und die Ungläubigen.« Er erinnerte sich noch sehr genau an das, was er gestern im Internet gelesen hatte.
    »Und was ist mit Nordirland?«
    Kluftinger dachte einen Moment nach. »Sie haben Recht. Da gibt es eigentlich keinen grundlegenden Unterschied.«
    »Noch mal die Frage: Meinen Sie, ohne Religion gäbe es solche Dinge wie Nordirland oder den 11. September nicht?«
    »Wahrscheinlich nicht, oder?«
    »Dieser Ansicht bin ich eben gerade nicht. Es sind die Menschen, die sich bestehlen, rächen, bekriegen, umbringen. Sie würden immer einen Grund finden. Pessimisten würden sagen, es liegt in der menschlichen Natur oder zumindest in der Natur von Gesellschaften. In Nordirland haben sie als Unterscheidungsmerkmal eben nur noch die Religion. Die sehen gleich aus, heißen gleich, verhalten sich gleich. Und natürlich ist nicht jeder Muslim automatisch auch ein Gotteskrieger.«
    »Das seh ich schon ein,

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