Laienspiel
aber sind nicht die, hinter denen wir her sind, genau das: Extremisten aus religiösen Gründen? Von christlichen Gotteskriegern ist mir nichts bekannt.«
»Na ja, haben Sie schon mal über den amerikanischen Präsidenten nachgedacht?«
Kluftinger verstummte. Er hatte das Gefühl, Yildrim argumentativ nicht gewachsen zu sein. Anderseits ging er nicht davon aus, dass es dem nur um eine Fingerübung im Diskutieren ging. Das Thema zog ihn immer mehr in seinen Bann. »Sie haben vorher gefragt, ob es anders wäre, wenn es die Religionen nicht geben würde.«
Yildrim nickte. »Ja. Und ich glaube, es wäre genau so. Abgesehen davon, dass die Menschen dann wahrscheinlich alle wahnsinnig werden würden. Denn sehen Sie: Der Mensch ist das einzige Lebewesen auf diesem Planeten, das weiß, dass es sterben wird. Wie soll man mit diesem Wissen leben? Die Lösung: Man erfindet sich eine Nachwelt, ein Jenseits, eine transzendente Macht. Dann ergibt alles wieder einen Sinn. Das haben praktisch alle Völker dieser Erde so gemacht, in allen Zeitaltern. ›Hinterwelt‹ hat Nietzsche das genannt.«
Bei dem Wort Nietzsche klingelte bei Kluftinger plötzlich etwas. Er erinnerte sich an einen Satz des Philosophen. Zwar wusste er nicht, in welchem Zusammenhang der eigentlich stand. Genau genommen war es der einzige Satz von Nietzsche, den er kannte. Außer vielleicht den, dass man die Peitsche nicht vergessen sollte, wen man zum Weibe geht. Einen Rat, den der Kommissar bisher nicht beherzigt hatte. Jedenfalls wollte er das Risiko eingehen und auch etwas Intelligentes in die Diskussion einbringen. Also sagte er: »Hat Nietzsche nicht gesagt, dass Gott tot ist?«
Seine Frage ließ Yildrim einen Moment innehalten.
»Ja, Sie haben völlig Recht, mein Freund.«
Kluftinger sah ihn an. Er hatte ihn zum ersten Mal so genannt. Der Kommissar empfand das als Auszeichnung.
Yildrim fuhr fort: »Aber das sagt ja nichts über den tatsächlichen Atheismus von Nietzsche aus. Er meinte, dass die christliche Moral sich sozusagen selbst überlebt hat. Und andererseits graute ihm vor einer Welt ohne Gott. Denn wohin würde die führen?«
Darauf wusste Kluftinger nun nichts mehr zu sagen. Er war dennoch sehr zufrieden mit sich.
»Das Problem ist nur«, sagte Yildrim, der nun seinen Gedanken von vorhin wieder aufnahm, »dass die Religionen auf eine bisweilen unangenehme Art und Weise funktionieren. Es gibt da einen Vorkämpfer der Atheismus-Bewegung, der ich, das möchte ich noch einmal betonen, nicht angehöre. Aber die formiert sich langsam zu einer starken Gruppe, da darf man gespannt sein, was passiert.« Er lächelte in sich hinein. »Jedenfalls hat dieser Franzose, Onfray heißt er, glaube ich, in einem Spiegel -Interview gesagt, dass uns die Religionen dazu einladen, uns mit dieser Welt zu überwerfen. Verstehen Sie: Es geht nur noch ums Jenseits. Das Hier und Heute wird total vernachlässigt. Dabei haben wir doch nur dieses eine Leben. Und genau diese Einstellung macht Selbstmordattentäter erst möglich. Denn zu dieser Orientierung auf das Leben nach dem Tod kommt ein Alleinvertretungsanspruch. Jede Religion meint, dass sie die einzig unsterblich machende ist. Und jede hat klare Feindbilder. Bei Ihnen ist das der Teufel. Wie der sich manifestiert, das haben Kirchenfürsten nach Gutdünken festgelegt. Sei es in Form von Hexen, Ketzern oder Zöllnern. Und hier kommt wieder die Politik ins Spiel, wie Sie sehen.«
In Yildrims Worten lag eine bezwingende Logik. Kluftinger schwirrte inzwischen schon der Kopf. Er würde das alles noch einmal in Ruhe durchdenken müssen.
»Lieber Herr Kollege, ich will Sie nicht kirre machen mit meinem Gerede. Und Ihnen vor allem Ihren Glauben nicht ausreden.«
»Nein, nein, so hab ich das auch nicht verstanden. Es ist nur … sehr interessant und wirklich wert, sich das mal durch den Kopf gehen zu lassen.«
»Kennen Sie Martin Walser?«
»Den Schriftsteller?«
»Genau.«
»Klar. Der wohnt doch gleich hier in der Nähe.« Kluftinger blickte auf das Autobahnschild, an dem sie gerade vorbeifuhren. Sie waren inzwischen auf die A96 gewechselt und passierten eben die Ausfahrt Wangen. »Irgendwo am Bodensee.«
»Das wusste ich nicht. Das passt ja umso besser. Jedenfalls hat der einen sehr schönen Satz geschrieben: ›Ich bin an den Sonntag gebunden, wie an eine Melodie, ich habe keine andere gefunden, ich glaube nichts und ich knie.‹ Das gibt einem zu denken, oder?«
»Hm.« Kluftinger war sich nicht sicher,
Weitere Kostenlose Bücher