Laienspiel
und allein das Mithören hatte schon ein relativ klares Bild der Lage gezeichnet; den Rest hatte Yildrim mit ein paar knappen Worten erklärt: Eine weitere E-Mail war eingegangen, die einen klaren Mordauftrag enthielt. Ein Mord, dessen Opfer, auch wenn keine Namen genannt wurden, nur Alii Hamadoni sein konnte.
»Es muss noch vor dem neuen Tag geschehen. Der, der nur dem Mammon frönt, muss sterben. Nicht dem Heilsweg dient sein Streben. Er verkauft den Tod. Nun wird er mit seinen eigenen Waffen geschlagen werden. Opfere ihn. Gott wird es dir im Himmel siebenmal vergelten. Möge die Kraft des rechten Glaubens dich stützen. Inshallah.«
Kluftinger las sich immer wieder den Ausdruck der E-Mail durch, die heute Nachmittag eingegangen war. Yildrim war sich, das hatte er den Mitgliedern der Task Force gerade mitgeteilt, mit all seinen Kollegen in München und Wiesbaden einig: Die Verfasser der Mail hatten vor, Hamadoni, den Waffenhändler, zu eliminieren. Die Zellenmitglieder, allesamt Überzeugungstäter, konnten sich keine Schwachstelle leisten. Nur Fanatiker waren auch sichere Geheimnisträger.
»Schutzhaft« war der Begriff, der Kluftinger sofort in den Sinn gekommen war.
Doch Yildrim zerstreute diesen Gedanken schnell. Er sah den bevorstehenden Anschlag als optimale Chance, in ihrer Sache weiterzukommen. »Ich kann Sie verstehen, Kollege Kluftinger. Sie denken absolut logisch. Aber geht es uns darum, Hamadoni zu schützen? Können wir das Wohl eines mutmaßlichen Berufsverbrechers in den Vordergrund stellen, wo es um so viel mehr geht?«
Kluftinger wusste, worauf Yildrim hinauswollte. Es ging um mehr als nur um ein Menschenleben. Irgendwie erinnerte ihn das an Wilhelm Tell: Was war schon ein Einzelschicksal, wenn es um die große Sache ging. Manchmal brauchte es ein Bauernopfer. Kluftinger schluckte. Was er gerade gedacht hatte, kam ihm auf schreckliche Weise bekannt vor: Es stand so auch in der Mail, die vor ihm lag.
Yildrim sprach diesen Gedanken ebenfalls aus: »Nun müssen die Ratten aus ihren Verstecken kriechen. Wer auch immer auf ihn anlegt, er kann uns im Fall weiterbringen. Und ich sage Ihnen eines ganz klar: Wenn Hamadoni dabei draufgeht, dann nehme ich das in Kauf.« Yildrims dunkle Augen funkelten. Der Mann schien zu allem entschlossen. Wie ein ausgehungerter Wolf schien er darauf zu warten, endlich Beute zu machen, in dem Fall weiterzukommen, der gestern noch alle so gelähmt hatte.
»Damit eines klar ist«, fuhr Faruk Yildrim fort, »es geht mir nicht darum, Hamadoni hinrichten zu lassen. Wir werden alles tun, um einen Anschlag auf ihn zu verhindern. Auch das ist unsere Pflicht. Aber wir haben es mit Leuten zu tun, die zu allem entschlossen sind. Mit anderen Worten: Hamadoni ist unser Lockvogel, und Lockvögel tragen das Risiko, abgeschossen zu werden.«
Kluftinger schluckte. Im Folgenden klärte Yildrim die anderen darüber auf, dass die Beschattung Hamadonis bereits massiv ausgeweitet worden war. Wenn er sich bewegte, zog er mittlerweile ein Dutzend Beamte hinter sich her.
»Personenschutz ist nicht gerade einfach, wenn der Beschützte nichts von seinem Glück weiß«, brummte Kluftinger. Die anderen nickten zustimmend.
»Herr Kluftinger, Sie steigen hier mit mir ein, bitte!«, sagte Yildrim, als sie mit Marlene Lahm auf einen langen geschlossenen Kastenwagen mit dem Werbeaufdruck einer Schreinerei zugingen, der vor der Kemptener Polizei geparkt hatte. Kluftinger verstand zunächst nicht. Erst als Yildrim die Schiebetür öffnete und einen Vorhang beiseiteschob, wurde ihm klar, was da vor ihm stand: Die mobile Kommandozentrale des Krisenstabes der bayerischen Polizei. Man hatte das Auto in einer der letzen Ausgaben der Mitarbeiterzeitung vorgestellt, nur von innen, versteht sich. Dieser Wagen verfügte über zahllose Abhöreinrichtungen, Peilgeräte, Wärmebildkameras und war darüber hinaus ein rollender Rundfunksender. Von ihm aus ließen sich bis zu hundert Beamte leiten, kameragestützt und kabellos. Kluftinger, der sich für moderne Technik nicht allzu sehr interessierte, nötigte der Wagen dennoch Respekt ab. Vor allem, da er gelesen hatte, dass der den ungefähren Wert von zwei Einfamilienhäusern hatte.
»Frisch aus München angekommen«, erklärte Yildrim. »Mit dem Baby werden wir uns heute auf die Lauer legen.«
Kluftinger staunte nicht schlecht, als er das Auto betrat: Das Innere wirkte wie aus einem James-Bond-Film. Der Wagen war vollgestopft mit Monitoren und Rechnern, vier
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