Laienspiel
Yildrim beantwortete ihren fragenden Blick: »Der Täter hat vom Flachdach dieses Hauses gezündet, ich glaube, er hatte die Fernsteuerung noch in der Hand. Er muss im Gebäude sein!«
Am Eingang hatte Yildrim bereits bei allen Klingeln Sturm geläutet. Nichts rührte sich. Strobl und Yildrim rüttelten an der massiven Haustür, doch die wackelte nicht einmal.
»Aus dem Weg!«, schrie Kluftinger plötzlich von hinten und rannte auf den Eingang zu. Unter Aufbietung seines vollen, nicht geringen Körpergewichts warf er sich dagegen. Gespannt sahen die anderen auf die Tür, die sich jedoch keinen Millimeter bewegte. Dann kippte der Kommissar langsam nach hinten.
Dreißig Sekunden später hatte der schlimmste Schmerz nachgelassen, und in Kluftinger keimte die Hoffnung auf, sich die Rippen nur geprellt und nicht gebrochen zu haben. In diesem Moment ertönte aus der Gegensprechanlage eine verschlafene Frauenstimme: »Was wellet Sie?«
Die Stimme schien einer älteren Frau zu gehören.
»Bundeskriminalamt, öffnen Sie sofort die Tür!«
Nach einer kurzen Stille war nur noch ein Knacken zu hören. Die Frau hatte ihren Hörer offenbar wieder aufgehängt. Noch einmal fuhr Yildrim mit dem Finger über alle Klingelknöpfe.
Kurz darauf hörten sie wieder die Frauenstimme: »Lasset Sie mich jetzt schlafen, Sie Aff!«
»Gute Frau, machen Sie auf, Kripo Kempten! Sie behindern unsere Ermittlungen!«, schrie Kluftinger nun von hinten in die Sprechanlage.
»Ach so? Ich hab denkt Kriminalamt?«
»Machen Sie die Tür auf, verdammt!«
»Gehet Sie unter dem Vordach raus und hebet Sie den Ausweis hoch! Ich komm ans Fenster.«
Die Beamten sahen sich kopfschüttelnd an. Schließlich seufzte Strobl, zog seine Kennkarte heraus und machte einen Schritt zurück. Während Kluftinger bereits erwog, die Tür mit massivem Beschuss kleinzubekommen, fragte Yildrim ihn, was er denn vorher gemeint habe, mit dem Renault.
Kluftinger klärte ihn auf, woraufhin Yildrim anordnete, man müsse sofort zu Latif Morodovs Wohnung fahren und diese auf den Kopf stellen.
»Haben Sie ihn gesehen? Meinen Sie, das war Morodov, auf dem Dach?«
Kluftinger zuckte die Achseln. »Schwer zu sagen, es war …« In diesem Moment rief die Frau im Kommandoton aus dem Fenster: »Umdrehen!«
Strobl vollführte daraufhin eine Neunzig-Grad-Drehung.
»Nicht Sie, den Ausweis!«
Obwohl die alte Frau sicher nicht das Geringste auf dem Dokument hatte sehen können, ertönte wenige Augenblicke später ein Summen, und die Haustür sprang auf. Kluftinger lief als Erster ins Haus und sah gerade noch eine dunkle Gestalt von der Kellertreppe nach oben rennen und durch die Hintertür verschwinden. Sofort setzten die Beamten ihr nach. Als diese durch die Tür nach draußen rannten, erwartete sie ein Dickicht, mit dem sie bei diesem gepflegten Haus nie gerechnet hätten: Hohe Stauden und Ranken überwucherten den Garten. An einer Ecke sahen sie gerade noch, wie sich der Flüchtige über den Zaun schwang. Sie hatten nicht einmal mehr Zeit zu schießen.
»Das ist nie und nimmer Morodov, der ist viel dicker«, rief Kluftinger, als er sich durch den verwilderten Garten kämpfte. Und schob ein »Zefix, alles voller Kletten!« hinterher
Die Jagd führte die atemlosen Polizisten durch zwei weitere Gärten, doch es gelang ihnen nicht, den Abstand zu verringern. Dann aber rannte der Flüchtige auf eine hell erleuchtete, breite Hauptstraße.
»Schnell«, schrie Yildrim, der mit beachtlichem Tempo inzwischen die Führung übernommen hatte. »Gleich haben wir ihn.«
Als sie um die Ecke bogen, sahen sie gerade noch, wie sich die Tür der großen Disko schloss. Hektisch blickten sie sich um: Nein, es gab effektiv keine andere Möglichkeit; der Mann musste dort hineingegangen sein. Sie erreichten die Tür. Yildrim fasste den Griff, nickte ihnen zu und zog sie auf.
Sofort schlug ihnen ein Schwall feuchtheißer, verbrauchter Luft entgegen. Yildrim brauchte nur ein, zwei Sekunden, um die Situation im Eingangsbereich abzuschätzen. Ohne zu zögern ging er zu der jungen Frau, die dort hinter einem kleinen Tresen saß und gelangweilt auf ihrem Kaugummi kaute.
»Ist hier gerade ein Mann reingekommen?«, fragte Yildrim.
Sie sah ihn mit müden Augen an. »Einer? Hier kommen ständig Leute rein!«
»Ich meine gerade eben.«
»Klar. Viele Männer. Und Frauen natürlich auch.«
Yildrim zückte seinen Ausweis und hielt ihn ihr unter die Nase. »Denken Sie nach«, sagte er scharf.
Unbeeindruckt
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