Laienspiel
ihrer Ankunft, nur die Musik fehlte. Die Gesichter der Menschen waren in rasender Angst verzerrt.
Da sah Kluftinger, wie ihr Mann die Treppe zur oberen Ebene erklomm. Wo war Yildrim? Der Kommissar konnte ihn nicht entdecken, es war zu dunkel und das Chaos zu groß. Er schrie den Namen des Beamten, doch gegen das schrille Kreischen kam er nicht an.
Jetzt hatte der Mann die obere Ebene erreicht. Sein Ziel war die Treppe auf der anderen Seite, doch er stoppte mitten im Lauf, als wäre er gegen eine Wand gerannt. Aus der Tür, die zum Treppenhaus führte, kamen drei Beamte gestürmt. Der Mann sah sich kurz um, kletterte dann über das Geländer, was ihm nicht leichtfiel, denn in einer Hand hielt er nach wie vor die Waffe.
Wo war nur Yildrim abgeblieben? Der Mann stand nun mit dem Rücken zum Geländer und Kluftinger fühlte sich für einen Moment an das Ende seiner Verfolgungsjagd über die Iller erinnert. Doch das hier war anders, hier standen Menschenleben auf dem Spiel. Der Mann hob nun die Waffe. Was hatte er vor? Wollte er springen? Schießen? Kluftinger zog seine Waffe und legte auf ihn an. Doch er schaffte es nicht, sie ruhig zu halten, dauernd wurde er angerempelt. So konnte er unmöglich schießen, die Gefahr, einen Unschuldigen zu treffen, war in diesem Tumult zu groß.
Wieder krachte ein Schuss. Kluftinger konnte sich nicht rühren, so hatte ihn das Geräusch geschockt. Er hatte nichts gesehen. Die meisten der panischen Menschen um ihn herum hielten für einen Moment inne. Alle Blicke richteten sich auf den Mann am Geländer. Er hatte die Augen weit aufgerissen.
Verdammt, wer hatte geschossen? Die Frage hallte in Kluftingers Kopf wider. Und dann bekam er die Antwort. Der Mann taumelte, ließ schließlich die Waffe fallen. Jemand anderes hatte ihn erwischt. Jemand … Yildrim! Kluftinger sah ihn. Die Menge hatte um ihn einen Kreis gebildet. Er stand da, beide Arme mit der Waffe noch immer ausgestreckt, ein Auge zugekniffen. Langsam ließ er die Pistole sinken. Parallel zu seiner Bewegung sank auch der Mann am Geländer in sich zusammen, verlor den Halt und stürzte unter dem erschreckten Aufschrei der Masse nach unten. Mit einem dumpfen Schlag, dessen Klang Kluftinger lange nicht vergessen würde, landete er auf der Bar und blieb regungslos liegen.
Noch 1 Tag, 14 Stunden, 44 Minuten, 12 Sekunden
Nachdem Kluftinger an diesem Morgen mechanisch auf seinen Radiowecker geschlagen hatte, drehte er sich erst einmal wieder um. Auf keinen Fall hätte er jetzt schon aufstehen können. Nicht nach alldem, was in der letzten Nacht passiert war. Immer wieder war er im Schlaf verschwitzt aufgeschreckt, immer wieder lief vor seinem inneren Auge die Explosion wie ein Film ab, hörte er den dumpfen Aufprall des Körpers auf dem Tresen.
Beim Gedanken daran, was heute bei der Arbeit los sein würde, zog er die Decke noch ein wenig höher. Und das an einem Samstag, an dem er eigentlich grillen, den Rasen mähen, einkaufen oder sonst etwas Nützliches und vor allem Häusliches tun sollte. Ereignisse, wie sie bis gestern Nachmittag geschehen waren, hatten sich aus den Medien heraushalten lassen. Aber die Sprengung eines Autos und kurz darauf ein tödlicher Schusswechsel vor Hunderten von Diskobesuchern, das war mindestens von nationalem Interesse. Wie sollten sie bei all dem zu erwartenden Trubel überhaupt noch zum Ermitteln kommen? Schließlich war es nur noch ein Tag bis …
Kluftinger schreckte aus seinem Dämmerschlaf hoch. Erika zupfte ihn am Ärmel seines alten blauen Frotteeschlafanzugs.
»Du musst aufstehen. Du hast doch gesagt, du musst heute arbeiten. Komm, es ist schon sieben durch.«
Erika klang besorgt. Gott sei Dank hatte er diesen festen Halt, diesen sicheren Hafen zu Hause, in dem alles seine Ordnung hatte, auch wenn in der Arbeit das Chaos losbrach. Dass er aus diesem Hafen sein ganzes Beamtenleben lang noch nie zu spät in Richtung Arbeit ausgelaufen war, war Verdienst seiner Frau. Und sie würde dafür sorgen, dass das auch so blieb.
Kluftinger brummte, wälzte sich aus dem Bett und nahm die Kleidung, die Erika ihm herausgelegt hatte. Einige Minuten später saß er bei einer Tasse Kaffee in der Küche und blickte in die erwartungsvollen Augen seiner Frau. Sie hatte ihm, während er im Bad gewesen war, im Morgenmantel Frühstück gemacht und Kaffee gekocht. Die Zeitung fehlte heute aus unerfindlichen Gründen, stattdessen hatte Erika das Radio eingeschaltet.
»Hast du was mit dieser Drogensache zu
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