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Laienspiel

Laienspiel

Titel: Laienspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kobr Volker Klüpfel
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Altkleidersammlung und dann, weil man so etwas nicht mal mehr den Ärmsten zumuten könne, in den Müll geworfen hatte. Inzwischen hatte sie es aber aufgegeben und ihm sogar den Bund etwas ausgelassen, weil selbst der Gummizug sich seinem sich in den letzten Jahren rapide vergrößernden Körperumfang nicht mehr anpassen konnte.
    Anschließend zupfte der Kommissar an seinem Unterhemd, beugte seinen Kopf und hielt es sich an die Nase. Er inhalierte tief und nickte dann beruhigt. Der Geruchstest war und blieb die zuverlässigste Methode, um herauszufinden, ob ein Kleidungsstück in die Wäsche gehörte oder noch weiter getragen werden konnte.
    Schließlich zog er sich noch ein Sweatshirt über, von dem er zwar die Aufschrift – UCLA California Sports Squad – kannte, sich aber noch nie über deren Sinn Gedanken gemacht hatte, und verließ als ein anderer Mensch das Schlafzimmer. Dieses Ritual war mehr für ihn als die Vorbereitung auf den Feierabend. Er hatte gelernt, mit seiner Kleidung auch den Hauptkommissar abzustreifen. Sein Beruf verlangte ihm bisweilen sehr viel ab. Um da nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten, musste er den Büroalltag aus seinem Privatleben heraushalten. Anfangs war ihm das noch schwergefallen, inzwischen bereitete es ihm nur noch selten Probleme, richtig abzuschalten.
    Mit einem Seufzer setzte er sich auf seinen Platz auf dem Wohnzimmersofa aus dunkelbraunem Velours. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er auch hier, wie im Büro, auf der Bürotoilette, in ihrem Doppelbett und auf der Ofenbank, ja mittlerweile sogar beim vierzehntäglichen Schafkopfen beim Mondwirt seinen Stammplatz hatte. Er schämte sich fast ein bisschen dafür und kam sich vor wie sein Vater, den wenige Dinge wütender gemacht hatten, als wenn jemand seinen Platz am Küchentisch belegt hatte. Dabei hatte er nie wie sein Vater werden wollen. Aber er war auch nicht bereit, die Kuhle aufzugeben, die er sich in jahrelanger Sitzarbeit ins Sofa gedrückt hatte und die ihm eine Bequemlichkeit bot, die er auf keinem anderen Sitzmöbel der Welt finden würde.
    Er legte seine Beine auf den gekachelten Couchtisch, allerdings nicht, ohne vorher ein Kissen darunterzuschieben. Er tat das weniger aus Komfort-Gründen, als vielmehr, weil Erika es auf den Tod nicht ausstehen konnte, wenn er seine Füße ohne Unterlage auf den Tisch legte. Sie hatte es geschafft, ihm das so einzutrichtern, dass er es selbst dann nicht tat, wenn sie nicht da war.
    Dann rückte er sich seine »Utensilien«, wie er sie nannte, auf dem Couchtisch zurecht: Fernbedienung, Bierkrug, den Brotzeitteller mit den vorher gerichteten vier Butter-Schinkenbroten, die Fernsehzeitung und das Kabel der Stehlampe mit dem Lichtschalter – alles musste so angeordnet sein, dass er nicht mehr aufzustehen brauchte. Denn wenn es etwas gab, was er hasste, war es, noch einmal aufstehen zu müssen, weil er irgendeine Kleinigkeit nicht bedacht hatte. Er unterzog alles einer letzten kritischen Inspektion, nickte zufrieden und ließ sich dann mit einem langgezogenen Seufzer zurück in die Polster sinken.
    Gerade, als er die Fernbedienung ergriff, um den Fernseher einzuschalten, fiel sein Blick auf den Zettel, der mit einem Tesafilm an die Mattscheibe geklebt war: »Sind schon in der Probe, bis gleich, Bussi Erika.«
    Siedend heiß durchfuhr es Kluftinger: Natürlich, die Probe! Die hatte er ganz vergessen. Kein Wunder, bei dem Tag, den er hinter sich hatte. Jede Faser seines Körpers sträubte sich dagegen, seine eben so liebevoll eingerichtete Feierabend-Kommandozentrale wieder zu verlassen. Hatte Kluftinger einmal seine Metamorphose vollzogen, war eine Rückverwandlung nur unter Aufbringung höchster Willenskraft und geradezu körperlicher Pein zu bewerkstelligen. Aber ihm war klar, dass er gehen musste. Vor allem, wenn er an seinen gestrigen Abschied von Regisseur Heinrich Frank dachte.
    »Kreizkruzifixnoamol«, schimpfte Kluftinger, als er sich vom Sofa erhob und dabei schnaubte wie ein Walross, das mühsam über eine Eisscholle Richtung Wasser robbt.
    Als der Kommissar sein Auto geparkt hatte und den Weg zum Spielgelände am Fuße der an einem Hügel gelegenen Gemeinde beschritt, war er sogar ein wenig froh, dass er es noch einmal geschafft hatte, sich aus der Umarmung seines Sofas zu befreien. Es war ein wunderschöner Abend, und die frische Luft tat ihm gut. Sie war erfüllt vom Geruch der wieder erwachten Natur, überall surrte und raschelte es, und aus der Ferne drangen

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