Laienspiel
braucht, in der Abgeschiedenheit der Provinz. Manchmal war Kluftinger sehr froh, dass sie hier wenigstens noch ein kleines bisschen hinter dem Mond lebten. Dort ließ es sich bisweilen ganz gut aushalten. Meist besser als im grellen Licht der Sonne.
Er schüttelte über sich selbst den Kopf, als er die Tür aufschloss: So tiefgründige Gedanken passten gar nicht zu seiner ausgelassenen Stimmung. Erika war überrascht, ihren heute früh noch so mürrisch aus dem Haus gegangenen Gatten derart verwandelt wiederzusehen. Doch sie fragte nicht nach, denn sie wusste, dass er solche Fragen gleich nach Betreten der Wohnung hasste. Heute Abend würde er ihr ohnehin alles erzählen, spätestens vor dem Einschlafen im Bett. Sie genoss fürs Erste also einfach seine gute Laune. Und hatte natürlich nichts dagegen, als er ihr vorschlug, noch schnell den Rasen zu mähen.
Während er mit seinem uralten handbetriebenen Rasenmäher so schnell über den kleinen Garten fuhr, dass sich auf seinem alten karierten »Gartenhemd«, eines jener hauteng geschnittenen, karierten Endsiebziger-Jersey-Modelle, große Schweißflecken bildeten, lugte er immer wieder verstohlen grinsend zum Tisch auf der Terrasse. Darauf hatte er zur Feier des Tages ein Weizenglas und eine Zigarre bereitgestellt. Nach getaner Arbeit würde er sich einen eiskalten Schluck und – ein seltenes Vergnügen – eine Havanna genehmigen. Als er daran dachte, legte Kluftinger noch einen Zahn zu, und die Grashalme flogen links und rechts nur so aus den rotierenden Klingen. Das sei echtes »Trimm-Dich«, sagte er immer zu seiner Familie, da könne er sich das Geld fürs Fitnesscenter locker sparen.
»Hörst du?«
Kluftinger blieb stehen. Hatte seine Frau gerade nach ihm gerufen? Er drehte sich um: Tatsächlich, auf der Terrasse stand Erika und hatte beide Hände trichterförmig um den Mund gelegt.
»Was ist denn los? Hörst du schlecht?«, beklagte sie sich mit einem milden Lächeln.
»Tschuldige, ich war so in Gedanken …«
»Schon gut. Du hast nämlich Besuch.« Bei diesen Worten blickte Erika auf sein verschwitztes Hemd, die zu enge Popelinehose sowie auf seine grünen Gartenclogs aus Gummi und verzog ein wenig die Mundwinkel.
Besuch? Kluftingers Mundwinkel bewegten sich ebenfalls: nach unten. Er wollte heute keinen Besuch mehr. Er hatte sich sogar vorgenommen, nicht mehr ans Telefon zu gehen. Er hatte doch schon seine »So-sollte-mich-besser-niemand-mehr-sehen«-Kleidung angelegt. Wollte rauchen, trinken, sitzen … aber doch nicht reden. Zumindest mit niemand anderem als mit Erika. Er überlegte noch fieberhaft, wer da zu ihm gekommen sein und vor allem, wie er ihn schnell wieder loswerden könnte, da sagte seine Frau: »Schau mal, wer da ist.« Dabei machte sie eine ausladende Handbewegung in Richtung Terrassentür, wie eine der Frauen aus den Fernsehspielshows, wenn sie den Hauptgewinn präsentieren.
Durch die Tür kam grinsend und gut gelaunt Doktor Langhammer.
Kluftinger zog die Brauen zusammen. Erika hatte doch gesagt, er habe Besuch bekommen. Der Arzt hatte ihn aber noch nie aufgesucht, wenn man von einem aus Kluftingers Sicht eher unfreiwilligen gemeinsamen Koch-Abend einmal absah. Aber das war, als Langhammers Frau Annegret und Erika zusammen in Urlaub gefahren waren. Ein absoluter Ausnahmefall also. Und genau das sollte es auch bleiben.
»Abend, mein Lieber«, rief der Doktor und hob die rechte Hand mit seinem goldenen Siegelring zum Gruß. »Schön, dass Sie Zeit für mich haben!«
Zeit? Er hatte keine Zeit. Jedenfalls nicht für Martin Langhammer. War der jetzt völlig übergeschnappt? Wieso besuchte er ihn? Sie hatten praktisch keine gemeinsamen Interessen. Sie mochten sich nicht einmal. Jedenfalls galt das für Kluftinger. Beim Doktor dagegen hatte er bisweilen schon unangenehme Züge von Sympathie gespürt. Er öffnete den Mund, um ihm genau das – natürlich etwas eleganter – beizubringen, da zog sich Erika mit den Worten »Ich bring dir gleich was zu trinken, Martin!« ins Haus zurück.
Kluftinger schloss den Mund wieder. Er war verwirrt. Sollte er, wie es die Höflichkeit eigentlich befahl, den Arzt fragen, was er für ihn tun könne? Aber er wollte ja keine schlafenden Hunde wecken. Erst jetzt sah Kluftinger Langhammers Aufzug und seine Laune besserte sich etwas. Fast verspürte er ein wenig Mitleid mit dem Mann, der da vor ihm stand, mit Caprihose in Flecktarnmuster zu einem hautengen, knallorangen T-Shirt mit der Aufschrift
Weitere Kostenlose Bücher