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Laienspiel

Laienspiel

Titel: Laienspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kobr Volker Klüpfel
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verstehen«, sagte Kluftinger und nahm einen großen Schluck aus seinem Weizenglas.
    »Was?«
    »Dass Sie mehr Text wollen.«
    »Ich will nicht mehr Text. Mir geht es nur um die Integrität der Rolle.«
    »Mir soll’s gleich sein. Wo Sie doch eh nur diese paar Sätzchen haben.« Bei diesen Worten wischte sich der Kommissar genüsslich den Schaum vom Mund.
    »Meine Rolle ist wichtig!«, protestierte der Doktor.
    »Keine Frage«, erwiderte Kluftinger mit übertriebenem Nicken und stellte das Weizenglas wieder ab.
    »Ja, sie ist … der Katalysator dieser ersten Szene.«
    Kluftinger hob erneut das Glas und murmelte in den Schaum hinein: »Wohl eher der Bremsklotz.«
    »Herr Kluftinger, vielleicht sollten wir uns noch einmal jeder für sich ein paar Minuten in Ruhe und alleine in die Szene vertiefen und dann erst weitermachen? Ich finde, es herrscht gerade kein kreatives Klima, in dem etwas entstehen kann.«
    Ungläubig musterte Kluftinger den Doktor. Hatte der ihm wirklich gerade die Möglichkeit zur schnellen Beendigung der Probe geboten?
    »Eine sehr vernünftige Idee, Herr Langhammer«, ging er betont freundlich auf die Anregung ein. Ich geh dann mal nach oben, Sie können sich derweil ja hier … vertiefen.«
    Mit diesen Worten schnappte er sich sein Glas, erhob sich und verschwand in der Terrassentür. Er eilte die Treppe in den ersten Stock, wo er den Fernseher einschaltete und sich mit einem Seufzen in den Sessel fallen ließ. Sollte sich der Doktor ruhig »in die Rolle vertiefen«, wie immer er das auch tat, er hatte das noch nie gebraucht, und sie spielten hier immerhin schon seit 1879 Theater – auch ohne Dr. Langhammer.
    Er würde hier einfach … noch ein bisschen … bis … Kaum eine Minute, nachdem er sich gesetzt hatte, war er eingeschlafen.
    Das Klopfen an der Wohnzimmertür riss ihn so jäh aus seinem Schlummer, dass er für einen kurzen Moment orientierungslos um sich blickte. Draußen war es stockdunkel, im Fernsehen lief bereits der Spielfilm. Verschlafen rieb sich Kluftinger die Augen und drehte sich um. Im Türrahmen stand der Doktor, die Tischdecke um die Schulter geschlungen. Offenbar war ihm in seinen albernen Shorts kalt geworden. So war das eben im Frühsommer im Allgäu: Zwischen einem lauen Abend und der Nacht lagen schnell mal zehn Grad Celsius.
    »Ich wär so weit, Herr Kluftinger«, sagte der Doktor, und Kluftinger war sich nicht sicher, ob seine Stimme dabei anklagend, beleidigt oder kleinlaut klang. Er musste gut eine Stunde im Garten ausgeharrt haben, das nötigte dem Kommissar einigen Respekt ab. Doch als seine Gedanken zu der gemeinsamen »Probe« zurückkehrten, war davon nichts mehr übrig.
    »Es tut mir leid, ich noch nicht«, erwiderte er deswegen kurz. Und bevor der Arzt antworten konnte, erhob er sich und geleitete ihn aus der Wohnung. Im Türrahmen stehend, sagte er noch: »Wenn man mal angefangen hat, stößt man tatsächlich in Tiefen vor, die man bisher gar nicht für möglich gehalten hätte. Das ist ganz neu für mich, ich muss da noch ein bisschen weiterschürfen. Ein andermal dann, gell, Herr Langhammer. Gut Nacht.«
    Er geleitete ihn zur Tür, ging zurück ins Wohnzimmer, klatschte sich mit der Hand an die Stirn, machte noch einmal kehrt, lief zum Badfenster, öffnete es und rief dem Doktor hinterher: »Die Tischdecke kann ja die Annegret mal der Erika mitgeben, wenn sie gewaschen ist.« Dann ging er mit einem Grinsen zurück ins Wohnzimmer und murmelte dabei ein Textfragment aus dem Stück vor sich hin: »Gerechtigkeit des Himmels!«
    Als Kluftinger Erika vor dem Einschlafen, wie von ihr erwartet, seinen Arbeitstag geschildert hatte, war er wieder versöhnlich gestimmt. Nur eine Frage ließ ihm noch keine Ruhe: »Was hast du denn jetzt bezahlt?«
    »Wofür?«
    »Für dieses Navidings.«
    »Das ist ein Geschenk.«
    »Jetzt sag halt …«
    Nach zwei Minuten hartnäckigen Bohrens rückte Erika schließlich mit der Sprache raus: »Na gut, ich sag’s dir, wenn du schon so neugierig bist. Der Martin wollte eigentlich gar nichts dafür. Aber ich habe ihm dann zweihundert Euro gegeben. Ist ja erst zwei Jahre alt.«
    Kluftingers Fluch hörte nur noch sein Kopfkissen. Für das Geld hätte er locker ein nagelneues Navigationsgerät, ein Mittagessen für die ganze Familie und ein Päckchen Kieselsteine für Langhammers Rasen bekommen.

Noch 6 Tage, 13 Stunden, 19 Minuten, 57 Sekunden
    Es waren einige ruhige Tage vergangen, und Kluftinger hing ihnen in Gedanken noch

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