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Laienspiel

Laienspiel

Titel: Laienspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kobr Volker Klüpfel
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nach, als er an diesem Morgen die Stufen zu seinem Büro erklomm. Es herrschte die beschauliche Ruhe einer Polizeidirektion in der Provinz. Manchmal brauchte es eben einen unangenehmen Vorfall, der einem erst bewusst machte, wie schön eigentlich der Alltag war. Er kannte das von zu Hause: Ein ungebetener Besuch führte ihm die behagliche Zweisamkeit mit seiner Frau oft erst richtig vor Augen, eine Erkältung ließ ihn spüren, wie angenehm das Leben doch als gesunder Mensch war, und hatte er etwas verzweifelt gesucht und schließlich gefunden, genoss er den Besitz des Gegenstandes weit mehr als vor dem Verlust. Der Kommissar schüttelte den Kopf über diesen menschlichen Makel, nie wirklich mit dem zufrieden zu sein, was man gerade hatte.
    Als er die letzte Stufe genommen hatte, blieb er abrupt stehen. Er verbrachte in der Polizeidirektion fast so viel Zeit wie bei sich zu Hause, eigentlich sogar mehr, wenn man nur die wachen Stunden des Tages zählte, und er merkte sofort, wenn hier irgendetwas anders war als sonst. Und heute war das der Fall. Er ahnte es mehr, als dass er es schon wirklich hätte benennen können. Alles schien normal. Auf den Gängen hörte man vereinzelt gedämpfte Stimmen, wie immer um diese Uhrzeit. Der Kopierer ratterte, Tastaturklacken drang aus den Büros. Auch die Kaffeemaschine röchelte bereits in der kleinen Küche. Ehe er noch weiter darüber nachdenken konnte, warum er diesen seltsamen Eindruck hatte, ging Dietmar Lodenbachers Bürotür auf, und der Polizeidirektor trat auf den Korridor.
    Au weh, dachte Kluftinger.
    Schon am Gang seines Chefs konnte er sehen, dass ihn sein erster Eindruck nicht getrogen hatte. Hektisch, wenn auch nicht ganz so aufgeregt wie sonst, wenn sich etwas Dramatisches ereignet hatte, kam er auf ihn zu. Er wirkte ein wenig fahrig und blass. Als er vor ihm stand, nickte er ihm nur kurz zu, wandte sich dann um und sagte über die Schulter: »Kemman S’ mit!«
    Kluftinger zog die Augenbrauen zusammen: Hatte er irgendetwas vergessen? War heute sein Dienstjubiläum? Nein, das nächste stand doch erst in ein paar Jahren an. Ein Disziplinarverfahren? Aber weswegen? Hatte er irgendetwas bei den Fahrtkostenabrechnungen …? Er hatte doch immer alles akribisch aufgeführt. Seine Kostümierung am Tatort neulich? Das konnte nicht sein, Lodenbacher hatte sein O.K. zu Kluftingers Theater-Engagement gegeben – mit allen Konsequenzen. Und eine Beförderung stand nicht ins Haus. Vielleicht eine Belobigung? Aber einen Grund hierfür konnte er sich noch weniger ausmalen als für ein Disziplinarverfahren.
    Während er sich den Kopf zerbrach, blieb sein Chef abrupt stehen. Sie waren am Konferenzraum ihrer Abteilung angelangt. Aus dem Inneren drangen Stimmen, von denen Kluftinger einige noch nie gehört hatte. Was ihn am meisten irritierte, war der Zettel, der an der Tür klebte: »War Room« hatte jemand darauf mit einem dicken Filzstift geschrieben. Kluftingers Verwirrung wurde immer größer. Er trat über die Schwelle und blieb wie erstarrt stehen. Er erkannte das Besprechungszimmer nicht wieder: Der Raum, in dem er mit seinen Kollegen normalerweise die Morgenlage und andere Konferenzen durchführte, hatte sich in irgendetwas zwischen Raumschiff und Kommandozentrale verwandelt. Ein halbes Dutzend PCs waren aufgestellt worden, mindestens ebenso viele Telefone standen herum, Kabel lagen auf dem Boden, und die Jalousien waren heruntergelassen worden, so dass die Neonlampen alles in ein fahles Licht tauchten. Eine riesige Magnet-Pinnwand stand an der Längsseite.
    Er brauchte eine Weile, bis er den Anblick verkraftet hatte, erst dann nahm er auch die Menschen bewusst wahr, die im Raum standen. Links von ihm, an der Ecke der zu einem großen Hufeisen zusammengestellten Tische, stand Willi Renn mit einem Stapel Papier in der Hand. Er sprach mit einem großen, schwarzhaarigen Mann von dunkler Hautfarbe und mit stechenden, schwarzen Augen. Besser gesagt, er sprach nicht, er hörte zu, nickte hin und wieder, sah auf seine Papiere, nickte wieder und kratzte sich mit einer Hand am Hinterkopf, als sei ihm die Situation unangenehm.
    Zwei Männer stöpselten gerade einen Bildschirm an einem Computer an, daneben saß eine Frau, die sich ebenfalls über einen Stapel Papier gebeugt hatte. Als sie den Kopf hob, um das Gespräch zwischen Willi Renn und dem Dunkelhäutigen zu verfolgen, klappte Kluftingers Kiefer nach unten. Er kannte die elegante Frau mit den kurzgeschorenen Haaren: Sie war

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