Laienspiel
Mitarbeiterin des Bundeskriminalamts in Wiesbaden. Jedenfalls war sie das das letzte Mal noch gewesen, als Kluftinger sie getroffen hatte. Damals, am Alatsee, hatte sie sich in seine Ermittlungen eingeschaltet und hätte mit einer unbedachten Aktion um ein Haar eine Katastrophe ausgelöst. Kluftinger konnte nicht behaupten, dass er sich freute, sie zu sehen.
Jetzt hatte auch sie den Kommissar entdeckt, und an ihrem gequälten Lächeln konnte er ablesen, dass sie über das Zusammentreffen ebenso wenig glücklich war.
»Guten Morgen, Herr Kluftinger«, sagte sie tonlos.
»Grüß Gott, Frau …« Erst, nachdem er schon mit der Anrede begonnen hatte, bemerkte der Kommissar, dass er ihren Namen nicht mehr wusste. Fieberhaft überlegte er: Es hatte irgendwas mit Fortbewegung zu tun, Hink oder Latsch oder …
»… Lahm«, vollendete sie seinen Satz, und er lief rot an.
Durch ihren kurzen Wortwechsel waren auch die anderen auf sie aufmerksam geworden. Willi und der Dunkle, wie Kluftinger ihn gedanklich nannte, wandten sich ihnen zu. »Sehr schön, dann sind ja endlich alle da«, sagte der Schwarzhaarige mit sonorer Stimme, und Kluftinger war sich nicht sicher, ob er aus dem »endlich« nicht einen Vorwurf herausgehört hatte.
Aber wie hätte er denn wissen sollen, dass er heute hier zu … was auch immer erwartet wurde? Niemand hatte ihn informiert. Und was hatte »alle da« zu bedeuten? Wer, bitte, war mit alle gemeint? Was hatten sie denn gemeinsam, dass sie sich zu dieser frühen Stunde hier trafen? Und vor allem: Was wollte das BKA hier in Kempten? Warum richteten sich fremde Leute hier häuslich ein? Kluftinger wurde von den vielen Fragen, die binnen Sekunden durch seinen Kopf schwirrten, ganz schwindlig.
Mit einer Kopfbewegung deutete der Dunkle den beiden Technikern an, dass sie den Raum verlassen sollten. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, bat er darum, Platz zu nehmen. Kluftinger kam sein dunkles Gesicht mit den buschigen Augenbrauen vor wie das einer Märchenfigur aus »Tausendundeiner Nacht«. Erst jetzt bemerkte er, dass auf den Tischen Namensschilder aufgestellt worden waren. Allerdings entdeckte er keines mit dem Namen Lodenbacher darauf. Er setzte sich an den Platz mit seinem Schildchen, Lodenbacher ließ sich auf einen Stuhl hinter ihm nieder. Der Kommissar erwartete, dass sein Chef nun etwas sagen würde, doch stattdessen ergriff der Dunkle das Wort: »Marlene, meine Herren, ich danke Ihnen, dass Sie sich alle hier zusammengefunden haben. Vor allem bei Ihnen, Herr Lodenbacher, bedanke ich mich ganz herzlich, dass Sie alles so schnell und unbürokratisch in die Wege geleitet haben.« Er nickte dem Polizeidirektor zu.
Schnell? Unbürokratisch? Lodenbacher? Kluftinger verstand die Welt nicht mehr. Er legte seine Tasche, in der sich wie immer nur seine Brotzeit, ein Taschentuch, ein Schweizer Messer sowie ein paar kleine Notizblöcke samt Kugelschreiber befanden, auf den Tisch. Da fiel sein Blick auf den kleinen Papierstapel vor ihm. Auf dem Deckblatt standen die Namen der Personen, die jetzt um den Tisch saßen. So vermutete er jedenfalls, denn einen davon kannte er nicht und eine Person auf der Liste war nicht im Raum: Simon Haas. Langsam keimte in Kluftinger ein Verdacht auf.
»Ich darf Sie also hier bei unserer Task Force begrüßen. Mein Name ist Faruk Yildrim.«
Kluftinger nickte. Das war der unbekannte Name.
»Ich leite diese Gruppe und freue mich, dass Sie alle dabei sind. Sie wurden ja bereits vorinformiert und wir können gleich in medias res gehen.«
Kluftinger blickte sich fragend zu seinem Chef um, doch der nickte ihm nur aufgeregt zu. Der Kommissar hielt die vielen Fragen, die ihn beschäftigten, einstweilen zurück.
Yildrim fuhr in scharfem Ton fort: »Sie sind für die Dauer dieser Operation mir unterstellt. Mir allein. Was die anderen Arbeiten betrifft, mit denen Sie zurzeit zu tun haben: Davon sind Sie mit sofortiger Wirkung freigestellt. Es gibt für Sie im Moment nichts Wichtigeres als das hier.« Er zeigte mit dem Finger auf den Haufen Papier, der vor ihm auf dem Tisch lag.
Kluftinger wagte nicht, seinen Stapel durchzublättern, um so zu erfahren, worum genau es denn ging und was ihm von nun an so wichtig sein sollte. Der Mann am Kopfende des Tisches hatte ihm schon mit wenigen Worten einen Heidenrespekt eingeflößt.
Schließlich fuhr dieser fort: »Es gibt von nun an außer mir niemanden mehr, der Ihnen gegenüber weisungsbefugt ist.«
Kluftinger, der
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