Laienspiel
müssen.« Er nickte dem Kommissar zu und ging.
Kluftinger sah ihm nach, bis er in einen Seitengang einbog. Auch wenn er nicht wusste, was die nächsten Tage mit sich bringen würden, reizte ihn die Aufgabe doch. Es war eine völlig neue Herausforderung, der er sich mit aller Kraft stellen wollte. War er neulich noch froh darüber gewesen, dass er den Fall wieder los war, hatte er dennoch das Gefühl, in dem Expertenteam gut aufgehoben zu sein. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass er nicht die Verantwortung für die Ermittlungen trug, dachte er sich, als er die Tür zu Sandy Henskes Büro öffnete.
»Na, Sie sind ja vielleischt gut gelaunt«, empfing ihn diese mit einem Lächeln. Sie schien überrascht zu sein, ihren Chef in so guter Stimmung vorzufinden. Normalerweise wurde die von unvorhergesehenen Zwischenfällen eher getrübt.
»Ja, wieso auch nicht?«, gab er zurück. Sein Grinsen hatte nun einen verschlagenen Zug angenommen. »Ach, Fräulein Henske, sind Sie doch so gut und rufen meine Frau an. Die wollte mit mir in die Stadt, aber die Lage hat sich hier ja nun etwas geändert, ich kann jetzt unter keinen Umständen mehr weg.« Mit diesen Worten drehte er sich um und öffnete die Tür zu seinem Büro.
»Doch, doch.«
Kluftinger blieb auf der Schwelle stehen. »Bitte?«
»Doch. Isch meine, Sie können weg.«
»Also, Fräulein Henske, ich glaube wirklich nicht, dass Sie …«
»Doch. Ich habe den Herrn Lodenbacher gefragt. Es geht erst heute Nachmittag weiter. Sie können also ohne Probleme noch mit Ihrer Frau in die Stadt und Schuhe kaufen.«
Kluftinger sah sie misstrauisch an.
»… oder was Sie auch immer vorhaben. Das schaffen Sie leischt.«
Verdutzt schloss Kluftinger die Tür hinter sich. So bekam er auch nicht mit, wie Sandy Henske zum Telefon griff, auf Wahlwiederholung drückte und in die Sprechmuschel flüsterte: »Alles klar, Frau Kluftinger. Ich hab das genau so eingefädelt wie besprochen.«
»Ja, Mutter, was machst denn du hier?« Ungläubig zwang Kluftinger sich zu einem Lächeln. Schlimmer konnte es nicht mehr kommen: Schuhe kaufen. Mit seiner Frau. Und seiner Mutter! Priml.
Erika wusste, dass ihr Mann den obligatorischen Schuhkauf gerne auf einen jährlichen Rhythmus reduzierte und ihn so schnell wie möglich hinter sich brachte. Auch war ihr klar, dass er über die Anwesenheit seiner Mutter nicht erfreut sein würde, doch sie fand, dass er das überraschend gut überspielte. Und sie hatte keine Möglichkeit gehabt, es ihrer Schwiegermutter auszureden. Wenn es um die Gesundheit ihres Sohnes ging, auch um die orthopädische, verstand Hedwig Kluftinger keinen Spaß. Und als sie heute Morgen überraschend vorbeigekommen war und erfahren hatte, was Erika vorhatte, war ihr Beschluss unanfechtbar gewesen. Eine Terminverschiebung kam auch nicht infrage, denn der Countdown lief: Morgen Abend stand die erste Tanzstunde auf dem Programm.
Hedwig Kluftinger missdeutete im Gegensatz zu ihrer Schwiegertochter das Lächeln ihres Sohnes. Sie war froh, dass er froh war, dass sie sich die Zeit genommen hatte, ihn zu beraten. Schließlich war der Junge doch immer so dankbar dafür, wenn sie ihm bei so etwas zur Seite stand. Das glaubte sie zumindest.
»Schau, ich hab dir eine Brotzeit mitgebracht«, strahlte sie ihren Sohn an und reichte ihm eine Tüte mit zwei Semmeln und zwei Paar Landjägern. »Und hier ist eine Apfelschorle. Ihr müsst immer was trinken zum Essen, sonst bekommt ihr Schluckauf.«
Kluftinger verzog das Gesicht, als er die verbeulte Aluminiumflasche sah, in die seine Mutter schon die Getränke gefüllt hatte, als er noch zu Schulausflügen gegangen war. Er hatte die Hoffnung darauf, dass sie ihn einmal wie einen Erwachsenen behandeln würde, irgendwann zwischen seiner Hochzeit und seiner Beförderung zum Hauptkommissar aufgegeben. Bei deren Feier hatte sie ihn ermahnt, sich auch höflich beim Polizeidirektor zu bedanken, wenn er die Urkunde bekomme.
Anderthalb Minuten später fühlte er sich endgültig wieder in seine Kindheit zurückversetzt, denn sie standen im ersten Stock des Schuhladens in der Kemptener Altstadt, in dem Kluftinger schon als Bub eingekauft hatte. Er hatte damals darauf bestanden, wie alle seine Freunde, weil es dort eine Rutsche hinunter zur Kinderabteilung gab. Die Rutsche gab es immer noch. Und auch seine Mutter war immer noch dabei. Er warf seiner Frau einen Blick zu, als müsse er sich vergewissern, dass die letzten vierzig Jahre tatsächlich
Weitere Kostenlose Bücher