Lamarchos
sein. Er stieß sich von der Pritsche hoch, stand aufrecht vor ihr, starrte angespannt in ihr Gesicht. „Merkst du oft, daß du neue Fähigkeiten entwickelst?”
„Ich weiß nicht.” Sie fuhr mit den Händen durch ihr Haar, dann streckte sie sie hoch und ergriff seine Arme. „Was spielt das jetzt für eine Rolle? Ich habe nicht darüber nachgedacht. Kann ich mitkommen, Miks?”
„Du kommst mit. Aber laß deinen Mund zu, und tu nichts, bevor ich es dir sage.”
„Ich werde nichts vermurksen, Miks.”
Er zerzauste ihr Haar, lächelte sie liebevoll an. „Gut. Jetzt aber, Frau, denk an dein Versprechen. Mach deinem Herrn Tee.”
Sie verbeugte sich, bis ihr Haar die Knie kitzelte. ,,Ja, weiser und verehrter Herr, der du voller … ahem … unbeschreiblicher Merkwürdigkeiten bist.”
6
Ein flüchtiger Windhauch bewegte die wurmzerfressenen Blätter und schickte einen Regen pulvrigen Staubs auf Aleytys herunter. Sie nieste und zog ihre Nase kraus, dann folgte sie dem Lachen, eilte den Abhang zum Fluß hinunter.
Loahn und Puki standen neben zwei Reihen von Pferden, redeten angeregt miteinander und hatten ihr Kommen zeitlich offensichtlich so eingerichtet, daß sie einander begegneten. Während die Pferde gierig aus dem träge dahinfließenden Wasser soffen, standen die beiden jungen Lamarchaner sehr nahe beieinander, ohne sich jedoch zu berühren. Aleytys kraulte Olelos Bauch. „Sieht so aus, als würde er es mit ihr ernst meinen.” Sie lächelte, da sie eine sanfte Woge der Zuneigung für den Jungen empfand. Dann drehte er sich um und sah sie.
„Sià Gikena?”
„Guten Abend, Loahn, Puki.” Sie blickte zum Himmel hinauf und schüttelte sich, da sich ihre Nerven anspannten; sie mußte daran denken, was bevorstand. „Loahn, laß die Pferde bei Puki. Ich muß mit dir reden.” Sie setzte Olelo auf den Boden und schob ihn zu dem Mädchen hin. „Halte Wache für uns, Kleiner.”
Der Sprecher setzte sich aufrecht und betrachtete sie mit einem argwöhnischen Schimmer in den schwarzen Augen. Dann sprang er auf alle viere und wieselte zu Puki hin.
Mit einem raschen Nicken warf Loahn dem Mädchen den Führungsstrick zu. „Sie haben so ziemlich alles bekommen, was sie brauchen. Bring das Gespann zu Kale, wenn sie fertig sind.”
Sie zog ihren Kopf ein und sah zu, wie Loahn mit Aleytys davonschlenderte, eine verwirrend empfindliche Mischung aus Furcht und Eifersucht strahlte von ihr aus.
Aleytys arbeitete sich durch dürres, bodennahes Gestrüpp; dann sah sie die Holzbank ohne Lehne. Sie blieb stehen, drehte sich um und wartete auf Loahn.
„Was ist los, Lahela?” Sie konnte die Unruhe aus seiner Stimme heraushören. Er war noch nicht besorgt, sondern einfach verwirrt dar
über, daß sie ihn auf diese Weise beiseite gerufen hatte. Sie wischte Staub und Blätter von der wuchtigen Bretterbank und ließ sich darauf nieder; dann wandte sie ihm ihr Gesicht zu.
Sie rieb über ihre Stirn, starrte an ihm vorbei auf das schlammige Wasser. „Arme Puki, es hat ihr nicht gefallen, daß du mit mir weggegangen bist.”
„Du hast mich nicht gerufen, um mit mir über das gnädige Fräulein zu sprechen.” Der archaische Respektausdruck für ein unverheiratetes Mädchen war eine absichtlich indirekt vorgebrachte Weigerung, über seine Beziehung zu Puki zu diskutieren. „Was willst du von mir?”
„Setz dich.” Als er steif neben ihr saß, fuhr sie fort: „Du weißt, weshalb wir hier sind. Heute nacht schlagen wir zu. Ich möchte, daß du bei dem Baby bleibst. Was meinen Kleinen anbelangt, vertraue ich Maissa nicht, und ich kann ihn nicht so lange allein lassen. Kale …”
Sie zuckte mit den Schultern. „Er wird Wache stehen.”
Sein Kopf ruckte hoch. „Und du?”
Sie lachte; der kurze, leise Ton verlor sich fas im zunehmenden Rascheln der Blätter über ihnen. „Ich bin ein Dieb wie die anderen, Loahn. Ich kann ihn nicht allein hineingehen lassen.” Das Schweigen zwischen ihnen verdichtete sich. Aleytys rieb ihre Daumen über die Falten des Tuches, dort, wo es sich mit ihrem Leib krümmte, spürte trotz ihres Zerstreutseins die glatte Bewegung des groben Gewebes auf der Haut ihrer Schenkel. Abrupt brach sie das Schweigen. „Ich habe dein Gesicht gesehen, damals, als dir der Erstmann dieses Messer zurückgegeben hat.” Sie beugte sich vor und tippte mit dem Zeigefinger auf den Griff, fühlte, wie Loahn in einer seltsamen Art von Furcht fröstelte.
„Ohne dieses Messer bin ich kein Mann”, sagte er
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