LaNague 03 - Der Staatsfeind
Mitte. Der untere Teil senkte sich in den Boden, der obere in die Decke, bis die beiden Enden ungefähr zwanzig Zentimeter auseinander waren. Nachdem er den Behälter durch die Öffnung gereicht hatte, tippte der Wächter erneut einen Code ein, und die beiden Stangen fuhren wieder zusammen.
Es war ein Tablett mit Essen. LaNague aktivierte das Heizelement und stellte es beiseite. »Ich habe angenommen, die Küche wäre geschlossen.«
»Ist sie auch.« Der Aufseher lächelte. Er war ein großer, schmaler Mann, der eine schlecht sitzende Uniform trug. »Aber nicht für Sie.«
»Wieso denn das?« LaNague wurde augenblicklich argwöhnisch. »Befehl von oben?«
Der andere brummte. »Weiß Gott nicht! Nein, wir haben alle zusammengesessen und uns überlegt, was für eine Gemeinheit es doch war, jemanden wie Sie mit diesen Kerlen hier zusammenzustecken – ich meine, die meisten von ihnen haben mindestens ein Menschenleben auf ihrem Gewissen; und wenn nicht, dann haben sie es zumindest versucht. Und wenn sie die Gelegenheit bekommen, dann werden sie wieder töten. Wir können sie nicht zusammenlassen, erst recht nicht mit anständigen Leuten. Jemand wie Sie gehört nicht hierher. Ich meine, Sie haben in all den Jahren niemanden getötet – noch nicht einmal jemanden verletzt. Alles, was Sie getan haben, war, die da oben ein bißchen lächerlich zu machen und Geld zu verteilen, damit jeder von uns seinen Spaß haben konnte. Wir sind der Meinung, daß Sie nicht hierher gehören, Mr. Robin Hood, und wenn wir Sie schon nicht aus diesem Block herausholen können, dann wollen wir doch wenigstens dafür sorgen, daß Sie niemand belästigt, solange wir hier sind.«
»Danke«, meinte LaNague verlegen. »Machen Sie sich immer so viele Gedanken über das, was Ihre Vorgesetzten tun und lassen?«
Der Aufseher überlegte einen Moment. »Nein, eigentlich nicht. Sie sind der erste Gefangene, über den ich mir Gedanken mache. Ich habe immer gedacht, Sie – Sie wissen, Robin Hood – wären verrückt. Ich meine, jemand, der einfach Geld vom Himmel wirft und so. Ich habe nie welches bekommen. Nur meine Schwester einmal, aber da ich immer die Nachtschicht habe, hatte ich keine Gelegenheit. Ich habe aber einmal dieses Flugblatt von ihnen gelesen … das kam mir damals wirklich verrückt vor, aber als ich dann gesehen habe, was hinterher passiert ist, da wußte ich, daß Sie nicht verrückt waren. Sie nicht, aber alle anderen.«
Er schien überrascht und etwas beschämt über das, was er gerade gesagt hatte. Verlegen deutete er auf das Tablett, aus dem es mittlerweile dampfte. »Sie essen besser, solange es noch heiß ist.« Als sich LaNague abwenden wollte, kam der Aufseher nahe an das Gitter heran. »Noch etwas … eigentlich sollte ich es ja nicht tun, aber -« Er streckte seine geöffnete Rechte durch die Stäbe in die Zelle.
LaNague ergriff sie und schüttelte sie fest. »Wie heißen Sie?«
»Steen. Chars Steen.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Steen.«
»Und mich erst!« Rasch drehte er sich um und ging eilig auf den Ausgang am Ende des Traktes zu.
LaNague sah eine Weile auf das Tablett, gerührt von der kleinen, aber doch so bedeutungsvollen Geste der Solidarität seitens der Aufseher. Vielleicht hatte er diese Menschen doch tiefer beeindruckt, als er wußte. Er setzte sich vor das Tablett und hob den Deckel hoch. Eigentlich war er nicht hungrig, aber trotzdem zwang er sich, zu essen. Schließlich war es ein Geschenk. Es gelang ihm, ein paar Bissen zu schlucken, aber dann mußte er aufhören, als seine Gedanken plötzlich zu Mora schweiften. Seit seiner Verhaftung hatte er sich nach allen Kräften bemüht, jeden Gedanken an sie abzuwehren, aber jetzt hatte er den Kampf verloren. Sicher würde sie bald erfahren, daß man ihren Mann festgenommen hatte, nur hoffentlich nicht aus den Nachrichtenmedien. Ihr im voraus von seinem Plan zu erzählen, war unmöglich gewesen. Sie hätte alles in ihrer Macht stehende getan, um ihn aufzuhalten; und wenn alles nichts geholfen hätte, würde sie zu guter Letzt wahrscheinlich versucht haben, mit ihm zusammen verhaftet zu werden, trotz der Art und Weise, wie er sie in letzter Zeit behandelt hatte.
Eine kurze Erklärung auf Band mußte genügen … nicht gerade ein anständiger, aber letzten Endes doch der einzige Weg. Da ihm der Appetit vergangen war, spülte er den Rest des Essens in der Toilette hinunter, kroch dann zurück in seine Nische und zwang sich, zu schlafen. Es war auf jeden
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