Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
Gilg.
»Unsinn«, knurrte Alphart – als der tadelnde Blick des Alten auf ihn fiel.
»Du solltest auf deine beiden Gefährten hören, Alphart Wildfänger«, beschied ihm der Einsiedler streng. »Denn du magst tapfer und mutig sein, aber dein Hass und deine Trauer haben dich blind gemacht und deine Seele vergiftet. Das Herz Leffels hingegen ist rein und unverdorben, deshalb vermag er in Gegensatz zu dir so manche Wahrheit zu erkennen.«
»Dann… ist es wahr?«, fragte Rionna. »Ihr seid wirklich Yvolar der Druide? Der Herr von Damasia?«
»Ein Druide mag ich sein, doch der Herr von Damasia bin ich schon lange nicht mehr«, sagte er. »Die Festung verlor ihren Glanz, als die Söhne Vanis’ das Land verließen.«
»Bist du es gewesen, der uns das Feuer geschickt hat?«, fragte Alphart.
»In der Tat. Ich sah, dass ihr in Bedrängnis wart, und beschloss, euch zu helfen. Außerdem glaube ich, dass es nicht euer eigener Wille war, der euch hierher führte.«
»Nicht unser eigener Wille?« Alphart lachte spöttisch auf. »Wessen Wille sollte es denn sonst gewesen sein? Du redest wirres Zeug.«
»Und du sprichst reichlich unverschämt für jemanden, der sein Leben meinem Eingreifen verdankt«, konterte der Druide. »Aber ich will dir deine Frage beantworten und dir sagen, wer euch drei zusammengeführt und dafür gesorgt hat, dass ihr wohlbehalten hier angelangt seid: die Vorsehung, meine Freunde, die Vorsehung…«
»Schmarren«, knurrte Alphart. »Hokuspokus und Druidenzauber, nichts weiter. Es war mein eigener Wille, der mich zu dir geführt hat, Druide, und ich werde wieder gehen, wenn mir danach ist. Diesem da« – er deutete auf Leffel – »habe ich geholfen, weil er von den hohen Herren schlecht behandelt wurde. Und jene« – er zeigte auf Rionna – »ist uns auf eigene Faust gefolgt. Jeder von uns hat selbst entschieden, was er tut und was nicht.«
»Du bist wohl kein Gläubiger?«
»Ich glaube an den Schöpfergeist und daran, dass er die Welt erschaffen hat. Alles andere ist in meinen Augen nichts als Unfug. Die Menschen in den Tälern mögen an derlei Blödsinn glauben – wir Wildfänger halten uns an das, was wir sehen und greifen können.«
»Ich verstehe«, sagte Yvolar nur und wandte seine Aufmerksamkeit dem Gilg zu. »Und wie steht es mit dir, mein guter Leffel? Hältst du es auch wie unser grimmiger Freund?«
»Bitte, verzeiht seine Worte, großer Druide«, antwortete Leffel. »Er meint es nicht so. Es ist der Schmerz über den Tod seines Bruders, der sein Herz so hart gemacht hat.«
»Wohl dem, der einen Kameraden wie dich hat, Leffel«, sagte der Druide. »Vielleicht wird der Jäger deine Freundschaft eines Tages zu schätzen wissen.«
Alphart erwiderte nichts darauf und begnügte sich damit, weiter düster dreinzublicken. Rionna, die bislang kaum gesprochen hatte, ergriff das Wort.
»Wenn Ihr Yvolar seid«, sagte sie, »dann müsst ihr uns helfen. Wir brauchen Euren Rat, ehrwürdiger Druide. Wir müssen wissen, ob unserem Land Gefahr droht und ob noch mehr Erle aus den Bergen kommen werden.«
»Wir werden in Ruhe darüber sprechen, Rionna von Iónador«, antwortete Yvolar besonnen.
»Ihr… Ihr wisst, wer ich bin?«
Der Druide nickte. »Deine Sprache verrät dich, mein Kind, ebenso wie die Ähnlichkeit zu deinem Vater.«
»Ihr kanntet meinen Vater?«
»Allerdings. Er war ein guter und weiser Herrscher. Die Kunde von seinem Tod hat mich tief betrübt.« Mit diesen Worten erhob sich der Druide. »Nun folgt mir. Ihr solltet euch ausruhen von eurer Reise. Morgen früh jedoch müsst ihr mir alles berichten, was ihr wisst.«
Er verließ die Höhle durch einen kurzen Stollen und über eine Treppe, deren schmale Stufen steil nach oben führten. Leffel und Alphart blickten einander staunend an – beide hätten schwören können, dass der Gang und die Treppe zuvor noch nicht da gewesen waren.
Rionna folgte Yvolar bereitwillig den kurzen Stollen entlang und die Stufen empor. Und auch Leffel ließ sich nicht lange bitten. Alphart hingegen zögerte. Es gefiel ihm nicht, sich jemandem anzuvertrauen, der mit übernatürlichen Dingen hantierte – aber hatte er eine Wahl?
Den Bogen fest umklammernd, folgte er seinen Kameraden schließlich die Stufen hinauf und durch den Fels des Urbergs bis in die verwunschene Festung Damasia.
17
Noch nie zuvor hatten die drei Gefährten Vergleichbares gesehen.
Als er noch ein kleiner Junge gewesen war, hatte Leffel Gilg gelegentlich die
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