Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
Einsiedler begegnet waren, der sich ihnen wenig später als Herr der Festung zu erkennen gegeben hatte.
Als sie geendet hatten, saß Yvolar eine Weile lang einfach nur da und starrte vor sich hin. Dann stand er auf und trat an eine kleine Kommode, die mit allerhand wunderlichen Gegenständen vollgestopft war. Als er zurückkehrte, hielt er eine große Pfeife in der Hand. Er setzte sich wieder, stopfte die Pfeife und entzündete den wohl riechenden Tabak. Und während er dies tat, sagte er: »Nun weiß ich, was deinen Gefährten widerfahren ist, Alphart Wildfänger. Aber von dir weiß ich noch nichts – außer dass dein Bruder von den Erlen getötet wurde und du auf Rache aus bist.«
»Das ist wahr«, bestätigte Alphart, »und mehr brauchst du über mich auch nicht zu wissen!«
»Nun gut«, sagte der Druide schlicht, »dann verrate mir wenigstens, ob du die Erle mit eigenen Augen gesehen hast.«
»Mit eigenen Augen.« Alphart nickte. »Und nicht nur das. Ich habe auch mit ihnen gekämpft.«
»Dann hast du also auch in ihre Gesichter geblickt?«
»Allerdings.«
»Was hast du gesehen?«
»Schweinsgesichtige Fratzen«, erwiderte der Jäger, »mit eitrigen Augen und Hauern, von denen Geifer rann.«
Yvolar nickte, während sich sein Blick immer noch mehr verfinsterte. »Es waren tatsächlich Erle. Und da es wirklich Erle waren«, murmelte er, »ist anzunehmen, dass auch die anderen Sichtungen wahr sind. Es ist also wieder geschehen, nach all der Zeit…«
»Was, ehrwürdiger Druide?«, fragte Leffel. »Was ist geschehen?«
»Auch ich habe Zeichen gesehen, junger Freund«, sagte Yvolar. »Und auch ich habe eine beunruhigende Beobachtung gemacht.«
»Was für eine Beobachtung?«
Der Druide blickte seine drei Gäste prüfend an, als schiene er zu überlegen, ob er ihnen sein Geheimnis anvertrauen sollte. »Kommt mit mir«, sagte er dann und erhob sich.
Sie folgten dem Druiden die Treppe hinab und hinaus aus dem Turm. Er führte sie über das Trümmerfeld und schließlich in einen Innenhof, in dem es vor langer Zeit wunderschön gewesen sein musste: Ein kreisförmig angelegter Garten war dies einst gewesen, mit duftenden Rosen und blühenden Kirschbäumen und im Zentrum ein kunstvoll gearbeiteter Brunnen. Jedoch waren die Rosen zu wuchernden Dornenranken verkommen und die Kirschbäume ohne Blüten und Blätter – und aus dem Brunnen sprudelte nicht Wasser, sondern Blut! Eine rote Kaskade schoss in den düstergrauen Himmel, um zähflüssig herabzuplätschern und einen kleinen Teich zu speisen, der nach Tod und Verwesung roch.
Rionna stieß einen spitzen Schrei aus, während Leffel den Blick abwenden musste, damit sich sein Frühstück nicht zurückmeldete.
»Beim hohen Licht der Berge«, knurrte Alphart, »was ist das wieder für Hexenwerk?«
»Kein Hexenwerk, Wildfänger«, antwortete Yvolar. »Dies ist der Brunnen Aillagan, was in der alten Sprache ›Juwel‹ bedeutet, und einst sagte er die Zukunft voraus.«
»Die Zukunft?«, wiederholte Alphart unbeeindruckt und verdrehte die Augen.
»Das Wasser des Brunnens war stets so klar wie die Wintersonne und so süß und frisch wie Morgentau«, fuhr Yvolar fort. »Am Vorabend des letzten großen Angriffs, den die Mächte der Finsternis gegen die Sterblichen führten, färbte es sich jedoch rot wie Blut. So wurden Vanis’ Söhne vor Muortis’ Angriff gewarnt, worauf sie ihm entgegenzogen, um sich ihm auf dem Gipfel des Korin Nifol zur letzten, zur entscheidenden Schlacht zu stellen.«
»Ich kenne die Geschichte«, sagte Rionna ergriffen, »aber ich dachte immer, sie wäre nur ein Mythos, eine Erzählung aus alter Zeit.«
»Wie leichtfertig die Menschen mit ihrer Vergangenheit umgehen«, sagte der Druide traurig. »Wie rasch sie die wahre Geschichte des Lebens ins Reich der Mythen verweisen. All das ist wirklich geschehen, mein Kind. Es ist wahr, Wort für Wort. Genau so, wie es in den alten Büchern geschrieben steht.«
»Ehrwürdiger Druide«, fragte Leffel fast flüsternd, »wie kann es sein, dass sich das Wasser eines Brunnens plötzlich verfärbt?«
»Weil der Brunnen Aillagan dort entspringt, wo alles Wasser einst entsprang, mein unbedarfter Freund. Dort, wo der Ursprung unserer Welt und allen Lebens liegt: im Grundmeer.«
In diesem Moment rief Alphart: »Jetzt endlich hab ich den Beweis dafür, dass du ein Schwindler bist, alter Mann. Das Grundmeer existiert nicht. Es ist eine Lüge, in die Welt gesetzt von jenen, die in den Tälern wohnen und die
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