Land der Mythen 02 - Die Flamme der Sylfen
Masse dar – nur das Grunzen der Erle, das Klirren ihrer Rüstungen und das kratzende Stampfen ihrer Klauenfüße waren deutlich zu hören.
Die Posten, die normalerweise an den Brückenpfeilern Wache hielten, waren abgezogen worden, die Einwohner Iónadors hatten sich in ihre Häuser geflüchtet und Türen und Läden geschlossen. Niemand in der Stadt wusste genau, was in dieser Nacht vor sich ging, aber sie alle fühlten das Grauen, das durch die Straßen und Gassen der Goldenen Stadt schlich und nach dem Blut Unschuldiger dürstete.
Nach Jahrtausenden, in denen es keinem Fremden gelungen war, seinen Fuß in die Stadt zu setzen, hatte Iónador freiwillig seine Tore geöffnet; jedoch kamen die Erle nicht etwa als Feinde, sondern als Verbündete, als Garanten eines neuen Bündnisses, das Klaigon eingegangen war.
In dem Konflikt, der heraufzog, gab es keine Neutralität. Man konnte für oder gegen den Winter sein – frieren würde man trotzdem, wenn die Kälte über das Land hereinbrach. Und so hatte sich Klaigon entschieden, das zu tun, was ihm als günstig sowohl für Iónador als auch für die Wahrung seiner Macht erschienen war: einen Bund mit jener Seite zu schließen, die ohne jeden Zweifel als Sieger aus dem bevorstehenden Konflikt hervorgehen würde, und sich dadurch einen guten Anteil an der Beute zu sichern.
Unter Einbeziehung aller Handlungsmöglichkeiten hatte Klaigon seine Möglichkeiten abgewogen, und je länger er darüber nachgedacht hatte, desto mehr war er zu der Überzeugung gelangt, dass ein Krieg gegen einen solchen Feind nicht lohnte. Sollte Iónador fallen, nachdem es jahrtausendelang die Herrin über ganz Allagáin gewesen war? Sollte ausgerechnet er, Klaigon, derjenige sein, der das Erbe der Fürstregenten verriet und die Goldene Stadt der Vernichtung preisgab? Sicher nicht – lieber übergab er sie freiwillig dem Feind und blieb dabei selbst an der Macht.
Aber warum widerstrebte es ihm dann zu sehen, wie die Erle in die Stadt einmarschierten? Warum schauderte ihn, wenn er sah, wie sie durch die Straßen und Gassen der Stadt strömten, einer Flutwelle gleich, die sich nicht mehr eindämmen ließ? Warum empörte er sich insgeheim über den Unrat, den die Unholde überall hinterließen und dessen Gestank bereits bis zum Turm hinaufstieg?
»Reue?«, fragte eine dunkle, drohende Stimme hinter ihm.
Klaigon zuckte zusammen. Er würde sich wohl nie daran gewöhnen, dass sein neuer Bündnispartner in der Lage war, sich ungesehen und lautlos fortzubewegen, indem er buchstäblich mit der Umgebung verschmolz. Der Fürstregent fühlte sich dadurch ständig beobachtet, ein Gefangener in den eigenen Wänden.
»Natürlich nicht, Kaelor«, versicherte er beflissen. Er wandte sich um und bedachte die hünenhafte, weißhäutige Gestalt, die nur ein Auge hatte und auf deren Stirn sich ein gefährlich aussehendes Horn erhob, mit einem vorsichtigen Blick. »Wie könnte ich die klügste Entscheidung bereuen, die ich in meinem ganzen Leben getroffen habe?«
»Dann ist es ja gut«, kam es zurück, mit einer Stimme, die vor Bosheit triefte. »Es wäre bedauerlich, wenn ich meine Erle anweisen müsste, die Goldene Stadt zu vernichten – da doch unser aller Gebieter so große Pläne mit Iónador hat. Wie in alter Zeit werden Könige in diesem Turm regieren, und du, Klaigon, wirst der erste von ihnen sein, ein stolzer Herrscher über ein vereintes Reich.«
»Ein stolzer Herrscher«, echote Klaigon mit verklärtem Blick und wischte all seine Bedenken fort – während sich in den fauligen Geruch, der sich mit den Erlen über Iónador gebreitet hatte, ein anderer, noch ungleich grässlicherer Odem mischte, der aus den Wohnvierteln der Stadt heraufdrang.
Der Gestank von geröstetem Menschenfleisch…
14
An jenem großen Stein, den einst der Urferner von den Gipfeln der Berge zu Tal getragen hatte und der sowohl den Kriegern des Waldvolks als auch den Bauern von Allagáin als besondere Stätte galt, kamen sie zusammen: Auf der einen Seite Barand von Falkenstein, der oberste Marschall Iónadors, der unter dem Banner der Goldenen Stadt ritt, gefolgt von seinen Unterführern und Rittern, deren Fahnen die unterschiedlichen Gaie Allagáins repräsentierten; auf der anderen Galfyn, der Häuptling des Falkenclans, in Begleitung der übrigen Stammesführer, die es sich nicht nehmen ließen, dem historischen Ereignis beizuwohnen.
Jeder Clan hatte seine besten Krieger mitgebracht, und wie die Kämpen
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