Land der Mythen 02 - Die Flamme der Sylfen
»Dorthin«, entschied er dann und deutete in eine Richtung, die dem Wildfänger so gut oder schlecht gewählt schien wie jede andere. Was genau es war, das den alten Mann zu seiner Entscheidung veranlasste, konnte er nicht erkennen.
Ohne das Floß noch eines weiteren Blickes zu würdigen, folgte er dem Leuchten von Yvolars Stab – das plötzlich merklich zu flackern begann. Der Wildfänger wollte gerade fragen, was es damit auf sich hatte, als der Boden unter ihren Füßen erneut von einem schweren Stoß erschüttert wurde.
Zwar konnten sie nicht mehr von einer Scholle fallen, aber Alphart hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Mit Pfeil und Bogen fuchtelnd, wankte er hin und her, während er zu seinem Entsetzen sah, wie sich ein Netz von dünnen Rissen über das Eis ausbreitete. Ein markiges Bersten und ein entsetzliches Kreischen – und das Eis über dem See platzte auseinander.
Alphart sah riesige Brocken, die mit furchtbarer Gewalt in die Luft geschleudert wurden. Die Risse im Eis verbreiterten sich, und der Boden unter ihren Füßen begann sich zu bewegen.
»Lauf!«, brüllte Yvolar aus Leibeskräften. »Lauf, so schnell du kannst…!«
Der Wildfänger fuhr herum und rannte, so rasch ihn seine Beine über den schwankenden, unsicheren Grund trugen. Mit hässlichem Knirschen tat sich vor ihm eine Spalte auf, über die er mit einem weiten Sprung setzte. Bei der Landung glitt er auf dem Eis aus und schlug zu Boden. Sofort war Yvolar bei ihm und half ihm auf die Beine.
»Fort!«, hörte er den Druiden ächzen. »Nur weiter fort!« Und zu seiner Bestürzung glaubte der Jäger, in der Stimme des alten Mannes einen Hauch von Furcht zu vernehmen.
Er raffte sich auf und setzte wieder hinter dem Druiden drein, den Bogen noch in der Hand, während rings um sie Eisbrocken zu Boden prasselten, jeder davon groß genug, um tödlich zu sein. Hier und dort durchschlugen sie die gefrorene Schicht, woraufhin Wasser emporspritzte. Alphart warf einen gehetzten Blick über die Schulter. Das Eis war in Bewegung und barst immer noch mehr – und im nächsten Augenblick erkannte der Wildfänger den Grund dafür.
Irgendetwas folgte ihnen!
Etwas, das sich im Wasser bewegte, jedoch mit derartiger Urgewalt, dass es die Eisschicht darüber zerbrach. Ein riesiger dunkler Buckel hatte sich an die Fersen der beiden Wanderer geheftet und kam ihnen näher und näher, obwohl sie so schnell liefen, wie ihre Füße sie trugen.
»Weiter! Weiter!«, ächzte Yvolar, der den Grund für das Beben offenbar kannte – doch schon wenige Herzschläge später hatte der unheimliche Verfolger die beiden Menschen eingeholt.
Wieder spürte Alphart, wie das Eis unter seinen Füßen sich bewegte und aufbrach. Gezackte Eisschollen bäumten sich auf. Der Wildfänger ruderte mit den Armen, in einer Hand den Bogen, konnte jedoch nicht verhindern, dass er das Gleichgewicht verlor. Mit einem heiseren Schrei auf den Lippen stürzte er und schlitterte auf dem länglichen Schild, der auf seinen Rücken geschnallt war, ein paar Meter weiter – und das rettete ihm das Leben, denn dort, wo er eben noch gestanden hatte, schien ein Berg aus dem Eis zu wachsen.
Der Buckel, der die beiden verfolgt und schließlich eingeholt hatte, vergrößerte sich, dehnte sich aus, und im nächsten Augenblick sprengte etwas das Eis von unten her. Wieder fegten Brocken nach allen Seiten und schlugen ringsum ein, und ein Nebel aus winzig kleinen Eiskristallen wölkte auf, die in die Gesichter der beiden Menschen wie Nadeln stachen. Entsetzt erkannte Alphart, was es gewesen war, das ihnen gefolgt war und die Eisdecke durchstoßen hatte.
Blankes Grauen wuchs aus der kalten Tiefe empor – in Gestalt eines riesigen, hässlichen Schädels, dessen mörderisches Maul weit aufgerissen war.
Es war jenes Monstrum, das die Bewohner von Seestadt in Angst und Schrecken versetzt und dafür gesorgt hatte, dass sich die Fischgründe weit nach Westen verlagert hatten. Das Ungeheuer aus den Tiefen der Welt, das ihnen auf dem Búrin Mar aufgelauert und sie schon einmal fast in den Tod gerissen hatte. Es gab keinen Zweifel, denn Alphart hatte dem Untier drei Pfeile in eines seiner glotzenden Fischaugen geschossen; dort eiterte nun eine entzündete Wunde, aus der gelblicher Schleim sickerte.
Damals hatte Yvolar das Monster vertrieben – besiegt hatte er es jedoch nicht. Alphart entsann sich, dass der Druide gesagt hatte, dass Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende vergehen würden, bis die Kreatur
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