Land der Mythen 02 - Die Flamme der Sylfen
sich der Herrscher des Nebels und des Eises darüber amüsierte oder ob es ihn erzürnte.
»Warum nicht?«, konterte Erwyn, dessen Selbstbewusstsein schlagartig gewachsen war. »Das Feuer des Eisdrachen konnte mir nichts anhaben, oder?«
»Nein«, räumte der Finstere ein, »das konnte es nicht.«
»Das bedeutet, dass Eure Macht gebrochen ist, Muortis«, behauptete der Junge. Er raffte sich auf und starrte trotzig zur Gitteröffnung hinauf. »Das Drachenfeuer konnte mir kein Leid zufügen, weil ich der Nachkomme Danaóns bin, der letzte Abkömmling der Sylfen auf dieser Welt.«
»Glaubst du das wirklich?«
»In der Tat – und auch Ihr werdet es nicht mehr anzweifeln, denn die Macht des Sylfen wird euch vernichten, und von eurem Reich aus Kälte wird nichts übrig bleiben als…«
Er unterbrach sich, als Muortis das verhüllte Haupt in den Nacken warf und sich in schallendem Gelächter erging. Trotz der Euphorie, in die Erwyn verfallen war, ging ihm auf, dass dies nicht das Verhalten von jemandem war, der einen herben Rückschlag erlitten hatte oder sich gar am Rand einer Niederlage wähnte. Jäh kam ihm der üble Verdacht, dass er sich geirrt haben und etwas anderes als Sylfenmagie dafür verantwortlich sein könnte, dass er noch lebte. Etwas, das ihm ungleich weniger gefiel…
Schlagartig kehrte die alte Furcht zu ihm zurück. Und mit ihr die Unsicherheit. Wankend machte er ein paar Schritte rückwärts, bis er mit dem Rücken an die Kerkerwand stieß, und er griff einmal mehr nach dem fehlenden Umhang. »W-warum lacht Ihr?«, fragte er vorsichtig hinauf.
»Warum ich lache?«, höhnte Muortis. »Das werde ich dir sagen, du Made: Weil deine Worte in meinen Ohren wie das Gebell eines zahnlosen Hundes klingen! Du willst mir drohen? Mir, dem Gebieter über Eis und Nebel? Der ich die Sylfen überlebt habe und nach all der Zeit zurückgekehrt bin?«
»I-ich…« Erwyns Stimme versagte.
»Du wunderst dich, weshalb du noch am Leben bist, nicht wahr? Weshalb du das Eisfeuer überstanden hast und noch immer auf dieser Welt weilst, habe ich recht?«
»Nun, ich…«
»Einfältiger, törichter Junge! Du bist noch am Leben, weil du nicht das bist, wofür du selbst und andere dich gehalten haben. Ein Sylfe wäre vom Feuer des Eisdrachen verzehrt worden und der ewigen Verdammnis anheim gefallen. Dir jedoch konnte es nichts anhaben, und das kann nur eines bedeuten…«
»Nein«, flüsterte Erwyn, der ahnte, was nun folgen würde.
»Es bedeutet, dass du kein Sylfensohn bist«, sprach Muortis die hässliche Wahrheit aus, »sondern nur ein gewöhnlicher Mensch, nicht mehr!«
»Nein, bitte… nicht…«
»Was beschwerst du dich?« Erneut lachte der finstere Herrscher. »Wäre es dir lieber, du wärst von sylfischem Geblüt? Dann, mein unbedarfter junger Freund, wärst du jetzt nicht hier, und deine Seele wäre den Schrecken der Verdammnis ausgesetzt. Willst du mir erzählen, das wäre dir lieber?«
»I-ich weiß nicht…« Verunsichert senkte Erwyn den Blick und starrte betreten zu Boden. Einsam und verlassen von jedweder Hoffnung stand er da und wusste nicht, wie es weitergehen sollte.
Einerseits war er natürlich froh, noch am Leben und nicht im Feuer des Eisdrachen vergangen zu sein. Doch sollte alles – einfach alles – völlig umsonst gewesen sein? Der beschwerliche Weg zur Drachenhöhle, um Fyrhack um Unterstützung zu bitten? Der Aufstieg zum Korin Nifol, die Gefangenschaft in der Gewalt des Blutbercht, der heldenhafte Opfertod seines Ziehvaters Urys? War all das nicht mehr gewesen als ein schlechter Scherz?
Der Junge hatte das Gefühl, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen. Noch vor wenigen Tagen hatte er sich gewünscht, dass das Schicksal nicht ausgerechnet ihn dazu ausersehen hätte, der Erbe Danaóns zu sein und eine solch schwere Bürde zu tragen; nun war dieser Wunsch in Erfüllung gegangen, aber Erwyn konnte sich nicht darüber freuen. Im Gegenteil – zumindest ein Teil von ihm hätte es vorgezogen, im Feuer des Eisdrachen zu sterben.
Er kam sich völlig nutzlos vor – wertlos!
Alles umsonst, weil er ein Nichts war…
Alles…
Jäh wurde ihm klar, weshalb keine Genugtuung in Muortis’ Worten mitschwang. Der Herr des Eises betrachtete ihn nicht länger als Bedrohung, entsprechend war der Sieg über ihn kein Triumph mehr. Statt ihn direkt zu töten, hatte man ihn in dieses eisige Loch gesteckt, wo man ihn langsam verrotten lassen und er dem Vergessen anheimfallen würde – das
Weitere Kostenlose Bücher