Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
Frage nicht beantwortet.«
»Ich mache mir Sorgen wegen William, weil er dir etwas bedeutet«, gab sie zurück. »Weil ich das Gefühl habe, dass du so lange angefressen sein wirst, bis ihr zwei diese Sache zwischen euch geklärt habt. Und falls William Casshorn wahrhaftig hilft … wirst du ihn töten müssen, nicht wahr?«
»Ja«, nickte Declan.
Er würde also seinen besten Freund umbringen müssen. Rose wandte den Blick ab, schaute zu den Bäumen, ins Gras, auf ihre Hände. Ihr drehte sich der Magen um. Alles war gründlich schiefgelaufen, und zwar so schnell, dass es sich anscheinend nicht wieder hinbiegen ließ. Noch vor zwei Wochen hatte ihr Leben aus der üblichen Plackerei bestanden. Dann hatte sich ihre beständige Welt praktisch über Nacht in einen Ort verwandelt, an dem dämonische Bestien kleine Jungen hetzten, um sie zu fressen, und an dem der Mann, den sie liebte, sich zwischen seinem und dem Leben seines besten Freundes entscheiden musste.
Gefangen in einem Albtraum konnte sie nicht aufwachen, und das Schlimmste daran war die Angst, die sie keine Sekunde losließ. Sie fürchtete um die Jungen und ihre Großmutter und sorgte sich schrecklich um Declan, so sehr, dass es ihr innerlich bis auf die Knochen wehtat. Wenn sie sich eine kleine Träumerei erlaubte, erhaschte sie einen Blick auf ein zerbrechliches Glück, das ihr beschieden zu sein schien, wenn schon nicht für immer, dann wenigstens für eine gewisse Zeit, das ihr nun aber schon wieder entrissen zu werden drohte. Dabei hatte sie es satt, sich ständig zu ängstigen. »Du hast gesagt, du seist ein Marschall. Ist es das, was du machst?«, fragte sie nun. »Ist das deine Aufgabe?«
Declan nickte.
»Und ist das immer so wie jetzt?«
»Diesmal ist es vermutlich so schlimm wie nie«, antwortete er. »Aber, ja, ich muss jedes Mal Entscheidungen treffen, die ich lieber nicht treffen würde. Das ist meine Pflicht als Marschall. Und im Moment schleppe ich eine Zentnerlast mit mir herum: Wenn es mir nicht gelingt, Casshorn zu töten, sterben Menschen, der Herzog der Südprovinzen verliert sein Gesicht und muss vielleicht sogar zurücktreten, deine Stadt wird ausgelöscht, und ich verliere dich. Dabei weiß ich nicht mal, ob ich dich überhaupt habe.«
Rose grübelte über seine Äußerungen. Bedeutete »Dabei weiß ich nicht mal, ob ich dich überhaupt habe« so viel wie »Ich weiß nicht mal, ob du mich gern hast« oder eher »Ich weiß nicht mal, ob ich alle Prüfungen bestehe und dich in Besitz nehmen kann«?
»Du verlierst mich nicht, wenn du keinen Erfolg hast«, sagte sie.
»Wenn ich versage, bin ich tot«, erklärte Declan.
Plötzlich wurde sie wütend. Die ganzen Sorgen und Ängste, die sich in ihr vermengten, wurden durch sein leichtfertiges Gerede über den Tod in Zorn reinsten Wassers verwandelt. Sie war wütend auf Casshorn, weil sie das alles seinetwegen durchmachen mussten. »Oh, nein, ganz sicher nicht.«
Er wölbte die Augenbrauen.
»Du stehst das hier durch«, teilte sie ihm mit. »Ich werde schon aufpassen, dass du lebendig aus der Sache rauskommst, und wenn ich deinen blutverschmierten Körper auf meinem Buckel aus dem Wald schleppen muss. Schließlich habe ich noch eine Prüfung bei dir gut, und mit der krieg ich dich bestimmt . Du wirst mir meinen Triumph nicht kaputt machen, Lord Camarine!«
In seinen Augen funkelte ein Licht. »Dann muss ich meinen Tod wohl noch etwas hinausschieben.«
»Tu das«, sagte sie ihm. »Ich habe keine Ahnung, was aus uns beiden werden soll, aber die Gelegenheit, das herauszufinden, lass ich mir von so einem schwachsinnigen, blaublütigen Oberspinner ganz sicher nicht nehmen.«
»Soll das heißen, du hast dich entschieden?«, fragte er.
»Wozu entschieden? Ob ich deinem männlichen Charme erliegen will?«
»Ja.«
»Noch nicht«, antwortete sie. »Aber ich denke darüber nach.«
»Gibt es etwas, womit ich dich überzeugen könnte?« Mit einem gefährlich gespannten Gesichtsausdruck beugte er sich vor. Seine grünen Augen erwärmten sich und blickten schalkhaft, sodass sie erstarrte, gefangen von diesem Blick.
»So kann ich über gar nichts nachdenken«, murmelte sie.
Er war ihr nah, viel zu nah, nur noch Zentimeter entfernt. Sie sah seine Lippen, die sich zu einem verschlagenen Grinsen verzogen, das Netzwerk winziger Narben neben dem linken Auge, die langen Wimpern …
»Sind Sie sicher, Ms Drayton?«, fragte er mit tiefer, rauer Stimme.
»Ganz sicher«, flüsterte sie, bevor er den
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