Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
Abstand zwischen ihnen aufhob.
Er barg ihren Hinterkopf in der Hand, dann küsste er sie. Sie öffnete den Mund und schmeckte Eistee und Declan. Er roch nach Schweiß, in den sich ein leichter Sandelholzduft und der Geruch sonnengebräunter Haut mischten. Diesen Duft würde sie überall blind erkennen, genau wie die Kraft der Arme, die sie jetzt umfingen. Er hielt sie, als wolle er die Welt herausfordern, sich deswegen mit ihm anzulegen. Und sie ließ sich bereitwillig in die Umarmung fallen, glitt mit den Händen über seine harten Brustmuskeln zu seinem Hals und den neuerdings kurzen Haaren hinauf. Er zog sie näher heran, küsste sie härter, hungriger, während sie das Innere seines Mundes leckte und mit ihm verschmolz. Declan knurrte, ein überaus männlicher, besitzergreifender Laut, der ihr Schauer über den Rücken jagte.
Hinter ihnen knarrten die Bodenbretter. Einen Sekundenbruchteil, ehe die Tür aufschwang, fuhren sie auseinander. Rose stierte geradeaus und versuchte, wieder zu Atem zu kommen.
»Nun, es hat einige Mühe gekostet, aber sie haben entschieden, dass sie Ihnen helfen wollen«, sprach Großmamas Stimme in ihrem Rücken. »Wir haben einen Plan, oder wenigstens so was Ähnliches. Tom kommt jetzt raus und erklärt Ihnen, worum es dabei geht. Er ist ganz aufgeregt, weil er mal wieder Soldat spielen darf … Was ist denn mit euch beiden los? Ihr seht aus, als wärt ihr in meine Vorratskammer eingebrochen und hättet die Marmelade verputzt.«
»Uns geht’s prima«, brachte Rose heraus, während sie einen Blick auf Declan erhaschte. Er sah halb zu Tode erschrocken und halb enttäuscht aus.
»Na dann.« Éléonores Tonfall verriet, dass sie nicht genau wusste, was die beiden ihr weismachen wollten, dass sie ihnen aber todsicher kein Wort abkaufte. Einen tiefen Atemzug lang blieb sie hinter ihnen stehen, schüttelte dann den Kopf und ging wieder hinein.
»Wir brauchen eine Scheune«, meinte Declan.
»Was?«
»Eine Scheune«, antwortete er mit der Ernsthaftigkeit eines Kommandanten, der einen Angriff vorbereitete. »Wir benötigen eine Scheune oder einen von diesen Unterstellplätzen für Fahrzeuge im Broken.«
»Eine Garage?«
Ein knappes Nicken. »Eine private, relativ abgelegene Örtlichkeit mit dicken Wänden, um die Geräusche zu dämpfen. Am besten mit einer stabilen Tür, die sich von innen verriegeln lässt, damit deine Großmutter, deine Brüder und die übrigen schrecklich aufdringlichen Zuschauer draußen bleiben müssen …«
Rose begann zu lachen. Also eine Art Bunker …
»Ich bin froh, dass unser Dilemma dich amüsiert«, bemerkte er trocken.
In dem Moment kam Tom Buckwell auf die Veranda hinaus und quetschte seinen massigen Leib zwischen sie beide. »Hier ist der Deal: Casshorn direkt anzugreifen kommt nicht infrage, weil er zu viele Bluthunde um sich hat, stimmt’s?«
»Stimmt«, nickte Rose.
»Wenn man an Casshorn ran will, muss man zunächst die Bluthunde atomisieren. Und wenn man die Bluthunde atomisieren will, muss man sie vorher von Casshorn trennen oder ihn in seinem Schlupfwinkel angreifen. So was nennen die Typen im Broken einen Catch-22. Und jetzt verrate ich Ihnen, wie ich Ihnen den Tag rette … Sie haben im Weird doch sicher militärische Ränge, oder?«
»Haben wir«, antwortete Declan.
»Was war Ihrer?«
»Legionär Erster Klasse.«
»Und was heißt das? Ist das so was wie ein Offizier?«
»Nein«, sagte Declan.
»Also ein Uffz.« Tom grinste. »Ich war auch mal Unteroffizier. Am besten, ich sage Sergeant zu Ihnen, wenn Sie nichts dagegen haben?«
»In Ordnung«, sagte Declan.
»Also gut, Sergeant.«
Rose verdrehte die Augen. Komisch, wie aus dem Sergeant sofort ein Sarge wurde und Tom sich vom Brummbär umstandslos in Declans besten Kumpel samt breitem Grinsen und Schulterklopfen verwandelte. Eine klassische Edger-Taktik. Deren Anwendung hatte sie schon bei so manchem Außenseiter erlebt. Die sechs Ältesten kannten Declan nicht, sie hatten keine Möglichkeit, seine Informationen zu überprüfen, und sie fürchteten sich vor ihm. Also hatte Tom Buckwell beschlossen, in die Rolle des Kameraden zu schlüpfen, um eventuelle Gemeinsamkeiten ausfindig zu machen, Declans Vertrauen zu gewinnen und ihm, falls nötig, ein Messer in den Rücken zu stoßen. Bei manchen Männern hätte das vielleicht sogar funktioniert, doch Declan verfügte über zuverlässige Instinkte, die derlei Ansinnen enttarnten. Außerdem trug Buckwell in seiner Rolle als nicht
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