Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)
Korbgeflecht. Auf dem Verschluss sehen Sie eine Tulpe. In dem Koffer liegt ein grünes Kleid. Ziehen Sie es an. Und richten Sie sich die Haare.«
»Warum?«
»Audrey, wenn Sie nicht tun, was ich Ihnen sage, küsse ich Sie so lange, bis Sie nachgeben.«
Ach, echt ? »Und ich schlage Sie, bis Ihr Gesicht knallrot ist.«
»Ich habe mich mit den Folgen unserer Küsse abgefunden«, entgegnete er. »Sie auch?«
Gute Frage . »Esel.«
Sie erhob sich von ihrem Platz und kehrte in die Kabine zurück.
»George soll Ihnen bei Ihren Haaren helfen«, rief er ihr nach.
»Klappe!«
Die Kanzel wackelte, als der Flugdrache landete. Kaldar musterte seine Mannschaft. Die Jungen waren ein Abbild aristokratischer Pracht. Gaston dagegen schwitzte Gefährlichkeit aus.
»Wir packen das. Seid einfach ihr selbst, dann tüten wir das ein. Morell de Braose wird euch vermutlich auf die Probe stellen. Schmeißt euch nicht ran, aber geht ihm auch nicht aus dem Weg. Damit müsst ihr rechnen. Jetzt ist es Zeit, euch an die Benimmregeln zu erinnern, über die ihr euch so beklagt habt. Behandelt mich wie einen vertrauten Lehrer. Wenn ihr nicht wisst, wie ihr zurechtkommen sollt, wendet ihr euch an mich. Man wird erwarten, dass ihr euch nach mir richtet. Ja?«
»Ja, Mama.« Jack verdrehte die Augen.
Kaldar versetzte ihm einen Nackenschlag. »Ja, wer?«
»Ja, Olivier.« Jack grinste.
»Wir haben Gesellschaft«, knurrte Gaston.
Kaldar wandte sich der Windschutzscheibe zu. Drei Reiter kamen näher. Zwei bullige Typen in plattierten Kettenhemden, die leichter waren als Stahl, aber jedem Schwerthieb standhalten würden. Vikinger. Jeder trug eine Streitaxt auf dem Rücken und ein mächtiges, schweres Schwert an der Seite.
Der dritte Mann blieb zurück, er ritt mit natürlicher Leichtigkeit, als säße er zu Hause auf seinem Wohnzimmersofa. Er trug Leder und eine seltsame Mischung aus einem Tropenhelm und einer schlichten Reisekopfbedeckung, deren eine Seite hochgeschlagen war und mit einer Merlinfeder prahlte. Über seine Schulter ragte der lange, dunkle Lauf eines Gewehrs. Er hatte ein Bein über den Sattel gelegt, auf dem Knie wippte ein weiteres Gewehr mit kürzerem, dickerem Lauf.
»Wer ist der Musketier?«, brummte Audrey hinter ihm.
»Das ist ein Texas-Scharfschütze. Sehen Sie den kurzen Lauf? Wenn er anlegt, teilt er sich an den Seiten und spuckt eine mit Granatsplittern und Magie geladene Kugel aus. Als würde er drei, vier Granaten bündeln und in die Menge schießen.«
»Und die Wikinger?«
»Das sind keine Wikinger. Das sind Vikinger. Heiden, denen Kanada gehört, geborene Killer. Sie sehen da eine 1300 Jahre alten Kriegstradition, das Ergebnis einer Religion, die den in der Schlacht Gefallenen ein ruhmreiches Leben im Jenseits verspricht. Sie führen magisch aufgeladene Klingen, und im Kampf sind sie die Pest, vor allem, wenn man es mit mehr als einem zu tun bekommt.«
Kaldar drehte sich um und verlor den Faden.
Er hatte das grüne Kleid vergessen. Wunderschönes Moosgrün umhüllte Audrey, floss über ihre Kurven wie Wasser. Elegant, am Saum in Falten, wurde das Kleid in der Taille von einer schräg von links nach rechts gewickelten, gefältelten Stoffbahn gehalten, die ihre Brüste hob, den Hals umschlang und an der rechten Schulter zusammengefasst war. Sie hatte ihre Haare aufgedreht, die rotblonde Mähne anschließend hochgesteckt und so ihren Nacken entblößt. Sie sah …
Sie sah …
»Erde an Kaldar!«, zischte Audrey.
Ein Klopfen hallte durch die Kanzel.
»Verstecken Sie sich in dem Tulpenkoffer, Liebes«, flüsterte er.
Sie verschmolz mit den Schatten im hinteren Teil der Kanzel. Dann schloss sich der Kofferdeckel, und der Riegel rastete ein.
Kaldar nickte. Gaston öffnete die Tür und richtete eine Repetierarmbrust mit kurzer Reichweite auf den ersten Vikinger. Der zwei Meter zwanzig große Kerl taxierte Gaston. Der bleckte die Zähne.
»Einladung«, sagte der Riese.
Kaldar gab ihm die Schriftrolle. Der Vikinger warf einen Blick darauf. »Wen dürfen wir ankündigen?«
»Ihr dürft gar nichts«, antwortete Kaldar. »Aber wenn euer Herr euch fragt, könnt ihr ihm in aller Ruhe mitteilen, dass George und Jack Camarine hier sind und darum bitten, sich kurz von den Strapazen ihrer Reise zu erholen. Sie befinden sich in Begleitung ihres Hauslehrers Olivier Brossard sowie eines Burschen.«
Der Vikinger musterte sie. »Morell de Braose lässt euch seine Gastfreundschaft zuteilwerden und lädt euch in seinen
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