Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)
Zauberkraft verlieh ihr einen hohen Marktwert.
»Lark wurde von Sklavenhändlern geraubt«, erklärte William ihm. »Die haben sie in ein Erdloch gesteckt und sie hungern lassen. Dann stieg einer von denen zu ihr in das Erdloch und missbrauchte sie.«
Jack fletschte die Zähne. »Was?«
»Sie tötete ihn mit ihrer Magie«, sagte Cerise. Sie verzog das Gesicht, als müsse sie um Fassung ringen. »Außer ihr war über eine Woche lang nur noch die Leiche von dem Kerl in dem Loch. Und sie wusste nicht, wie lange sie da unten würde ausharren müssen oder wann wir sie finden würden.«
Beide sahen ihn an. Offenbar ging es um etwas, das Erwachsene oder Menschen anging, aber er kapierte nicht, worum es sich handelte, also wartete er einfach ab.
»Kann sein, dass sie den Sklavenhändler gegessen hat«, sagte William.
Jack nickte. Dagegen ließ sich nichts sagen. Krass, klar, aber wenn er eine Woche lang von Feinden umringt in einem Erdloch festsitzen würde, hätte er womöglich auch Menschenfleisch gegessen.
»Menschen sehen das anders als Gestaltwandler«, sagte William. »Es beeinträchtigt sie.«
»Warum? Ist das Fleisch giftig?«
»Es ist nicht diese Art Beeinträchtigung«, sagte Cerise. »Lark hält sich wegen dem, was sie getan hat, für ein schreckliches Ungeheuer. Sie hasst sich ein bisschen dafür und versucht das Ganze zu vergessen. Ist dir aufgefallen, dass sie neuerdings immer so hübsche Kleider trägt und ihre Haare immer so gründlich ausbürstet.«
Es war ihm aufgefallen. Und dass sie nicht mehr mit ihm in den Wald gehen wollte. Dabei hatten sie dort so viel Spaß gehabt – gejagt und Zeit miteinander verbracht. Doch jetzt saß sie lieber auf dem Balkon und trank Tee mit Rose.
»Sie möchte normal sein«, teilte Cerise ihm mit. »Sie möchte alles Hässliche vergessen, deshalb sorgt sie dafür, dass alles, was sie umgibt, hübsch ist.«
»Und ich bin hässlich«, sagte Jack.
Cerise bedeckte ihr Gesicht mit einer Hand. »Oy.«
»Du bist nicht hässlich«, erwiderte William. »Du bist wild. Du jagst und tötest gerne, aber sie erträgt das Blut noch nicht. Lass ihr Zeit. Wenn Sie so weit ist, wird sie dich finden.«
»Mädchen mögen mich nicht«, meinte Jack. »Sie finden George besser.«
»Die Mädchen in der Schule mögen George, weil sie sich bei ihm sicher fühlen«, sagte Cerise. »George hat vollendete Manieren, er ist ruhig, und sie wissen, dass ihnen nichts geschieht, wenn sie mit ihm allein sind. Versuch nicht, wie George zu sein. Die Mädchen, die ihn mögen, sind für dich nicht die richtigen. Was du brauchst, sind Mädchen, die auf Jungs mit einer dunklen, gefährlichen Seite stehen.«
»Ich habe aber keine dunkle Seite«, sagte Jack.
»Und ob du die hast. In deinem Alter geht es nur darum, welche Rolle man spielt. Wenn William und ich für den Spiegel arbeiten, müssen wir häufig jemand anders sein. Wir müssen uns verkleiden und uns unserer Tarnung entsprechend benehmen.«
»Aber ich will niemand anders sein.«
»Das sage ich ja auch gar nicht.« Cerise seufzte. »Nehmen wir George. Er zieht sein Kostüm an, geht zur Schule und spielt den Tragischen Prinzen.«
»Verwunschen«, korrigierte Jack.
»Verwunschen. Aber zu Hause ist er ganz normal, oder?«
Jack dachte darüber nach. Ja, in der Schule war George ein bisschen schräg. Er lachte wenig, und manchmal stand er am Fenster und schaute mit traurigem Gesicht ins Nichts, während eine Horde Mädchen in Hörweite über ihn tuschelte.
»Ja«, nickte Jack. »Ich verstehe.«
»Du musst nur deine Rolle finden. George ist der Verwunschene Prinz, dir steht womöglich die Rolle des geheimnisvollen dunklen Einzelgängers besser zu Gesicht.«
William sah seine Frau an. »Du hast dir das viel zu genau überlegt.«
Cerise machte eine wegwerfende Handbewegung. »Du bist still. Jack, schau, es ist ganz einfach. Du musst nur für dich bleiben und gleichgültig gucken.«
Jack blinzelte. »Was?«
»William kann sehr gut gleichgültig gucken.« Cerise wandte sich William zu. »Guck ihn bitte mal gleichgültig an.«
William seufzte und sah Jack an. Sein Blick war nichts Besonderes, nur ausdruckslos.
»Ich muss also gelangweilt gucken.«
»Du musst dreinschauen, als wäre dir alles egal. Als wärst du lieber woanders.«
»Ja! Ich wäre gerne woanders.«
»Dann dürftest du keine allzu großen Probleme haben. Erzähl den Leuten nichts über dich. Reg dich nie vor anderen Leuten über irgendwas auf. Zuck nur die Achseln und geh
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