Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)
die Schachtel mit ihren schlanken Fingern. »Entschuldigen Sie, ich habe eben Kaffee getrunken. Mein Atem ist … puh!« Sie wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht.
»Das stört mich nicht, nur zu.«
Sie suchte sich ein Pfefferminzbonbon aus, legte es auf ihre rosige Zunge und schloss den Mund. »Hm, ich liebe Altoids.«
Und seine Gedanken verliefen sich. Schon wieder gut gemacht. Er fragte sich, wie oft sie diesen kleinen Trick wohl schon abgezogen hatte. Er konnte sich gut einen Konferenzraum voller Männer vorstellen, die wie auf Kommando aufblickten und zusahen, wie sie Pfefferminz lutschte. Klar, die Schwester von Alex Callahan konnte kein Unschuldslamm sein, aber mit so einem Auftritt hatte er nicht gerechnet.
Mit ernster Miene beugte sie sich vor. »Nun, womit kann ich Ihnen dienen, Denis?«
»Ich habe Ihren Bruder besucht«, sagte er versuchsweise. »Alex.«
»Alex?« Sie machte große Augen. »Wie geht es ihm denn? Ist ihm irgendetwas zugestoßen?«
Ihre Miene verriet aufrichtige Besorgnis.
»Hat er eine Überdosis genommen?«
Und nun auch noch echte Angst. Wenn er nur ein bisschen weniger gerissen gewesen wäre, hätte er ihr das alles wahrscheinlich abgekauft. Callahan wäre nicht der erste Drogensüchtige, der an Verfolgungswahn litt. Vielleicht war Audrey ja Papas Liebling und Alex das schwarze Schaf der Familie, das log wie gedruckt.
Klar, und Schweine konnten fliegen, und Reiche kamen ins Himmelreich.
»Papa meinte, er wäre gut untergebracht. Und dass die Ärzte dort sich gut um ihn kümmern.«
Feuchtigkeit netzte ihre Wimpern. Die Frau konnte auf Kommando heulen. Bewundernswert. Kaldar musste etwas sagen, ehe sie in Tränen ausbrach oder die Nummer hier aus dem Ruder lief. Er streckte eine Hand aus und setzte ein schuldbewusstes Lächeln auf. »Audrey, bitte, sie sind auf dem Holzweg. Es bricht mir das Herz, eine so schöne Frau dermaßen außer sich zu sehen. Ihrem Bruder geht es prächtig.«
Audrey lehnte sich zurück. »Das war aber nicht nett. Sie haben mir einen Schrecken eingejagt.«
Tja, er war aber auch ein übler, gemeiner Kerl. Fast hätte er applaudiert.
Sie richtete sich auf. »Ist es das, was Sie von mir wollen, Mr Morrow?«
Alle Achtung, eine beachtliche Darbietung, aber alles musste mal ein Ende haben. Kaldar beugte sich vor und sagte mit vertraulicher, leiser Stimme: »Ich will, dass Sie mit diesem Bockmist aufhören und mir stattdessen verraten, was Ihr Daddy mit dem Apparat gemacht hat, den ihr in Westägypten habt mitgehen lassen.«
Schwindelerregend schnell schoss ihre Hand auf ihn zu, etwas stach messerscharf in seine Brust, wie ein Schlag auf den Musikantenknochen, und paralysierte seinen gesamten Körper. Kaldar spannte die Muskeln, er zwang sich, in die Gänge zu kommen, blieb jedoch wie angewurzelt und steif wie ein Brett auf seinem Stuhl sitzen. Die Worte blieben ihm im Hals stecken.
Ein Taser! Sie hatte ihn mit einem Taser außer Gefecht gesetzt! Heilige Scheiße !
Audrey kam hinter dem Schreibtisch hervor. Etwas zerrte an seinen Armen, dann ließ der Schmerz nach. Sein Körper funktionierte wieder normal, alles auf Anfang, er spie das erste Wort aus, das ihm in den Sinn kam: »Fuck!«
Audrey schloss ihm den Mund mit Klebeband. Er wollte sich knurrend auf sie stürzen, doch seine Arme rührten sich nicht.
Sie hatte ihn mit Kabelbinder an den Stuhl gefesselt.
Sie hatte ihn hereingelegt, ihn ausgetrickst wie einen Trottel. Wie ein Kind. Das würde sie bereuen, sobald er sich wieder bewegen konnte. Sie würde es von Herzen bereuen, dafür würde er sorgen.
Audrey beugte sich über ihn, durchsuchte mit schnellen, geübten Fingern seine Kleidung und zog sein Messer aus der Innentasche seines Kapuzenpullis. Die leicht gebogene schwarze Klinge war fast fünfzehn Zentimeter lang und scharf wie ein Rasiermesser, dabei aber so dick, dass man damit einen oder zwei Schwerthiebe parieren konnte.
»Nettes Messer.«
Die Messerspitze ritzte die Haut unterhalb seines Auges. Sie beugte sich über ihn, ihre Stimme bebte vor verhaltenem Zorn.
»Sie haben keine Ahnung, was für mich auf dem Spiel steht. Ich habe monatelang für diesen Job geschuftet, und Sie haben alles verdorben. Wissen Sie, was es heißt, ganz von vorne anfangen zu müssen? Wissen Sie, wie schwer es ist, im Broken ein anständiges Leben zu führen?«
Das Messer bohrte sich in seine Haut. Er spürte einen Blutstropfen auf der Wange. Kaldar rührte sich kein bisschen. Er durfte sie nicht noch
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