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Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)

Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)

Titel: Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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war er ein ergebener Bruder, Cousin und Onkel. Auf der anderen Seite mutierte er zum Gauner.
    Für den Diebstahl waren die Callahans verantwortlich. Audrey war eine Callahan, und sie hatte sich dazu bekannt – so viel hatte er mitbekommen. Er hätte gewiss nicht anders gehandelt. Andererseits, wenn man bedachte, wie sehr sie ihre Familie verabscheute, wäre er davon ausgegangen, dass sie sich weit eher von ihrem Selbsterhaltungstrieb hätte leiten lassen. Er hatte sie falsch eingeschätzt, und das wurmte ihn.
    Audrey war ein Rätsel. Er sah sich in aller Stille um und katalogisierte ihre Besitztümer. Ein massiver Kühlschrank, verbeult, aber sauber. Desgleichen der Herd. Abgewetzte, plüschige Möbel, der Stuhl unter Jacks Hintern wies einen säuberlich geflickten Schaden auf, wo irgendjemand das Sitzpolster gefleddert hatte. Wahrscheinlich der Waschbär.
    Die drei sichtbaren Fenster waren schmal, jedes mit einem robusten, von innen verschließbaren Riegel versehen. Zwischen den Küchenschränken hing ein zweckdienlicher Dolch an der Wand. Auf einem Regal über den Tellern lag ein Bogen bereit, darunter stand ein Paar gelber matschverkrusteter Malocherstiefel auf dem Fußboden.
    Audrey besaß drei Bücherschränke mit einem Sortiment gut gepflegter, ladenneuer Bücher. Auf einem der Schränke stand ein Dutzend etwa 15 Zentimeter hoher Plastikpferde. Ein paar davon mit Flügeln, mindestens eines hatte sogar ein Horn. Auf den obersten Regalbrettern, außerhalb der Reichweite des Waschbären, tummelte sich eine Sammlung Stofftiere: ein rosa Kätzchen, ein Pandabär, ein Frosch mit gelbem Helm, auf dem ein Stern prangte, ein Wolf. Dolche und Stofffrösche!
    Ihre Deko ergab keinen Sinn: Eine Decke im grellen Stil des amerikanischen Südwestens wetteiferte mit allem Möglichen, einem Star-Wars -Filmplakat, irgendwelchen Topfpflanzen, einer Duftkerze und einem Tomahawk. Offenbar brachte sie mit heim, was ihr gefiel. Wie eine diebische Elster.
    Das kannte er schon von Cerises Mann William. Kaldars Cousine Cerise war praktisch seine Schwester, wodurch der Gestaltwandlerwolf zu so etwas wie seinem Schwager wurde. Der Mann war ein ungebärdiger, ausgebildeter Killer. Er tötete ohne Skrupel oder Bedauern und empfand nach seinen Taten nicht die geringsten Gewissensbisse. Danach ging er heim und beschäftigte sich mit Spielzeugfiguren. Seine Kindheit – ein Desaster. William war praktisch in einem gerade so als Schule getarnten Knast aufgewachsen. Jack hatte sich aus Angst vor ebendiesem Knast in der Kabine seines Flugdrachens versteckt.
    Diese feste Burg mit ihren Waffen und rosa Plüschkätzchen gehörte keiner Kindfrau, sondern einer vom Leben ramponierten Erwachsenen. Sie hatte alles überstanden und wollte nun die Kindheit zurück, die sie in Wahrheit nie gehabt hatte.
    Irgendwer hatte Audrey sehr wehgetan und ihr dauerhafte Narben zugefügt. Kaldar sah sie erneut an. Sie war ein Goldstück, nicht nur hübsch, sondern auch lustig und lebendig, wie ein Sonnenstrahl, der das Zimmer erhellte. Er erkannte etwas Gutes in ihr, das wenigstens zum Teil nicht vorgetäuscht war. Die meisten Frauen aus glücklosen Edger-Familien, die er gekannt hatte, ähnelten halb verhungerten Kötern: verbittert, bösartig, freudlos. Sie jedoch glich dem Sommerwind.
    Was für ein verrückter Scheißkerl mochte ihr so wehgetan haben, dass sie beschlossen hatte, mutterseelenallein im Wald zu leben, in einem Haus mit 30 Zentimeter dicken Mauern? Dieses Haus bildete ihre Zuflucht. Es war so gut wie unmöglich, sie von hier wegzuholen – weshalb genau das zu einer Herausforderung wurde. Und Kaldar liebte Herausforderungen. Sie verhinderten, dass sein Leben ihn langweilte.
    So wie sie nun dasaß, vorgebeugt, die Stirn gerunzelt, auf ihrer rosigen Unterlippe herumkauend, während er ihr ein Stück weit in den Ausschnitt sehen konnte, fragte er sich träge, ob es ihm gelingen würde, sie dazu zu bewegen, sich noch ein bisschen weiter vorzubeugen.
    »Was genau starren Sie eigentlich gerade an?«
    Blitzschnell fand Kaldar in die Wirklichkeit zurück. »Sie. Sie haben in den letzten fünf Minuten angestrengt nachgedacht. Aber es ist nicht gut für Sie, wenn Sie Ihren hübschen kleinen Kopf so sehr strapazieren. Ich warte darauf, dass zur Entlastung Ihres Gehirns Dampf aus Ihren Ohren schießt.«
    »Aha.« Audrey sah Jack und George an. »Was ihr hier seht, ist ein Kerl, der gerade dabei erwischt wurde, wie er meine Brüste anglotzte, was er jetzt

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