Land der wilden Sehnsucht
die Wange. „Es kommt vor, dass sich Unglück in Glück verwandelt, meine Liebe“, stellte sie fest. „Seien auch Sie herzlich willkommen … und bitte nennen Sie mich Hilary. Ich habe mich an die Anrede ‚Mrs Kilcullen‘ nie gewöhnen können. Sie gebührte meiner Vorgängerin … Blaines Mutter.“
„Und wo ist Marcia?“ Amanda blickte sich voller Ungeduld um. „Ich würde sie gern kennenlernen. Vermutlich sieht sie Mark sehr ähnlich?“
„Durchaus nicht, Amanda“, mischte sich Blaine ein. „Sie sind keine eineiigen Zwillinge. Trotzdem gibt es einige Gemeinsamkeiten, wie du morgen feststellen wirst. Marcia möchte dir Zeit lassen, dich in der fremden Umgebung zurechtzufinden. Nicht wahr, Hilary?“
Hilary verstand den Wink und war Blaine im Stillen dankbar. Wie immer unterstützte er sie. „Wir wussten, dass ihr müde sein würdet“, meinte sie und sah erst Amanda und dann Sienna an.
„Seltsamerweise bin ich nicht so erschöpft, wie ich erwartet hatte“, erklärte Sienna. „Wahrscheinlich kommt das erst morgen.“
„Dann möchten Sie uns vielleicht beim Essen Gesellschaft leisten?“, fragte Hilary hoffnungsvoll, die sich sofort zu Sienna hingezogen fühlte. Amandas Cousine besaß, so Hilarys erster Eindruck, wahre Schönheit, angenehme Umgangsformen und ein freundliches Wesen.
Sie wusste noch jedes Wort, das Mark über die Brautjungfer seiner Frau geschrieben hatte. Blaine und sie hatte das damals sehr beunruhigt, aber jetzt klärte sich alles auf. Sienna war die Frau, die endlich den Weg zu seinem Herzen gefunden hatte – nicht Amanda.
Eine stattliche blonde Frau kam nun die linke Treppe herunter. „Das ist Magda … unsere Wirtschafterin“, stellte Hilary vor. „Sie führt den Haushalt besser, als ich es könnte. Magda, das sind Marks Witwe Amanda und ihre Cousine Sienna.“
Die Angestellte neigte leicht den Kopf zur Begrüßung. „Wenn Sie mir bitte folgen würden“, sagte sie mit voller, tiefer Stimme, der man den polnischen Akzent immer noch deutlich anhörte. „Ich zeige Ihnen die Zimmer.“
„Danke, Magda“, mischte sich Blaine ein. Zu Sienna gewandt, fügte er hinzu: „Wir essen um sieben Uhr, falls Sie dann doch nicht zu müde sind.“
„Von wegen“, antwortete Amanda für ihre Cousine. Es ärgerte sie, dass Sienna und nicht sie im Mittelpunkt stand. „Wir brechen oben bestimmt zusammen.“
Magda ging voran, erst die Treppe zur Galerie hinauf und dann weiter in den ersten Stock, wo die Schlaf- und Gästezimmer lagen. Zuerst öffnete sie die Tür zu Amandas Raum, der ganz so eingerichtet war, wie eine Frau es sich wünschen konnte. An der Rückwand stand ein romantisches Himmelbett, rechts und links davon führten zwei Türen auf die Galerie, von der man eine herrliche Aussicht auf die hinteren Gartenanlagen hatte.
Weiß und Blau waren die dominierenden Farben, und ein abstraktes Blumenstillleben über dem Bett nahm sofort den Blick gefangen. Sienna hätte es gern genauer betrachtet, denn es entsprach nicht dem europäischen Geschmack. Viel eher ließ sich an die Kunst der Aborigines denken. Weiter gab es einen hübschen Schreibtisch mit einem Stuhl davor und einige ausgesucht schöne Möbelstücke – darunter eine mit blauem Seidenstoff bezogene Chaiselongue und zwei dazu passende Sessel.
„Bezaubernd“, urteilte Sienna, die immer bemüht war, etwas Nettes zu sagen. Wie sie zu ihrem Leidwesen bemerkte, zeigte sich Amanda eher enttäuscht. Wo waren ihre guten Manieren geblieben? Sicher, sie war erschöpft, aber sollte das für die Dauer ihres Aufenthalts so weitergehen? Marks Beerdigung stand noch bevor, ebenso die Begegnung mit seiner Exverlobten Joanne Barrett und deren Eltern. Dazu kamen noch die Freunde der Familie, die natürlich auch an der Beisetzung teilnehmen würden.
„Jetzt zeige ich Ihnen Ihre Bleibe, Miss Sienna“, sagte Magda und ging wieder voran.
„Danke, Magda. Möchtest du mitkommen, Mandy?“
Amanda blies die Wangen auf und atmete langsam aus. Das war eine alte Angewohnheit von ihr. „Ich kann mir dein Zimmer auch morgen ansehen“, entschied sie. „Hilfst du mir nachher beim Auspacken? Ich kann einfach nicht mehr!“
„Natürlich“, beruhigte Sienna sie. „Ich komme gleich wieder.“
„Das ist meine Aufgabe“, stellte Magda energisch fest.
„Danke.“ Amanda verzog das Gesicht wie ein störrisches Kind. „Meine Cousine ist mir lieber. Außerdem will ich noch etwas essen.“
„Dafür wird gesorgt“, erklärte Magda,
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