Land der wilden Sehnsucht
ausdrucksstark … vermutlich die Arbeit eines begabten Schülers aus der Werkstatt eines führenden Künstlers. Der Einfluss von Rubens ist nicht zu übersehen. Die Art, Mähnen und Schweife der Pferde darzustellen, ist typisch für die Zeit, in der der Maler gelebt hat! Ich habe ein ähnliches Gemälde in Madrid im Prado gesehen … es zeigte einen Schimmel, den ein spanischer Grande reitet. Es wirkt wild, beinahe grausam, wie diese beiden prächtigen Hengste miteinander kämpfen, nicht wahr?“
Sie ließ die Finger behutsam über die alte, nachgedunkelte Leinwand gleiten.
„Was für Schätze kannst du mir sonst noch zeigen?“
„Eine Sammlung einheimischer Kunst. Es gibt unter den Aborigines bedeutende Künstler. Einige ihrer besten Werke findest du bei mir.“ Blaine wandte sich nach rechts. „Wie du siehst, bevorzuge ich die Farben der Region.“
Sienna sah sich in dem großen Wohnraum um und musste sofort an das Haus denken, das ihr Vater vor Jahren in Marrakesch gemietet hatte. Auch dort hatte der Kontrast zwischen den weißen Wänden und den Ockertönen der Einrichtung eine starke Wirkung auf sie gehabt. In der Mitte lag wieder ein Perserteppich in etwas gedämpfteren Farben, darauf stand ein geschnitzter Tisch, eingerahmt von zwei bronzefarbenen Ledersofas mit dunkelroten Damastkissen. Zwei tiefe, heller bezogene Ledersessel ergänzten das Ensemble. Eine Wand wurde von einem bis zur Decke reichenden Bücherbord aus dunklem Mahagoniholz eingenommen, die übrigen drei Wände waren mit vielen Bildern geschmückt.
„Warst du jemals in Marrakesch?“, fragte Sienna.
„Ich war fast überall … den Südpol eingeschlossen“, antwortete Blaine. „Nur das schöne Kanada muss ich noch kennenlernen, sobald ich Zeit dafür habe.“
„Das hoffe ich sehr.“
„Du wolltest also das Porträt meiner Mutter sehen? Es hängt nebenan in meinem Arbeitszimmer, denn es braucht natürlich einen Ehrenplatz. Hier wäre es am falschen Platz gewesen. Komm mit. Was ist dir diese private Führung wert?“, fragte er und drehte sich so plötzlich um, dass sie fast mit ihm zusammenstieß.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals, denn Blaine sah nicht nur zu gut aus, sondern wirkte auf sie in diesem Moment ausgesprochen sexy und auch etwas gefährlich. „Ich weiß nicht recht“, antwortete sie unsicher.
Im Arbeitszimmer fiel zunächst die helle Holztäfelung auf. Nachtblaue Ledersofas waren um einen niedrigen Glastisch gruppiert, auf dem die Skulptur einer indischen Gottheit stand. Der absolute Blickfang war jedoch das Porträt hinter dem imposanten Schreibtisch. Es zeigte vor tiefblauem Hintergrund eine sehr schöne Frau mit dunklem Haar, zarter Haut und sehr hellen Augen, die sie ihrem Sohn vererbt hatte. Sie saß in einem vergoldeten Lehnstuhl und trug ein langes Kleid aus feinster weißer Duchesse. Ihr Schmuck bestand aus einer sehr langen Perlenkette und Ohrgehängen aus Perlen und Diamanten.
„Sie sieht beeindruckend aus.“ Sienna dachte an ihren Vater, der das Gemälde bestimmt gern gesehen und seine Meinung darüber geäußert hätte.
„Nicht wahr? Sie trägt auf dem Bild ihr Brautkleid.“
„Es ist wunderschön. Jetzt weiß ich auch, von wem du deine ungewöhnlichen Augen hast.“
„Ja, die habe ich von ihr geerbt, und der Tag, an dem sie starb, wird mir unvergesslich bleiben. Es war das einzige Mal, dass ich meinen Vater weinen sah. Der Schmerz brach förmlich aus ihm heraus. Er ist nie über Mums Tod hinweggekommen.“
„Es muss ein großes Unglück gewesen sein … für ihn und dich.“
„Sie ging zu früh.“ Blaine sah unverwandt auf das Bild. „Und jetzt Mark. Dad heiratete Hilary nur, damit ich eine Ersatzmutter bekam. Wahrscheinlich war das der größte Fehler seines Lebens.“
„Aber, Blaine!“, rief Sienna, die sofort Hilarys Partei ergriff. „Sie bekamen doch zwei Kinder … die Zwillinge.“
„Das war vielleicht ihr einziges Glück … zumindest für einige Jahre. Dad sorgte hingebungsvoll für sie. Hilary hatte alles, was sie sich wünschen konnte, aber sie wusste, dass er sie nicht liebte.“
„Das muss sie schon vor der Hochzeit gewusst haben“, stellte Sienna fest.
„Ja.“
„Dann war es ihre freie Entscheidung. Vielleicht hat die Ehe ihr mehr bedeutet, als du denkst.“
„Ich wünschte, es wäre so“, Blaine wandte sich seufzend ab, „denn Mark war von Anfang an ein schwieriges Kind … Marcia ebenfalls. Dad meinte immer, es sei angesichts von Hilarys Familie nicht
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