Land des Todes
nach dem armen Kind erkundigen.«
»Du würdest es mir doch sagen, wenn es ihr schlecht ginge«, meinte Lina. »Was für ein seltsamer Gedanke, dass ich jetzt Mutter bin! Wäre es mir nicht so elend gegangen, ich hätte schwören können, dass es sich nur um einen Traum gehandelt hat.«
»Es ist kein Traum, Frau Lina, und es wäre gut, wenn Sie aufwachten«, sagte ich. »Wenn Sie sich so blendend fühlen, wie Sie heute aussehen, dann könnten Sie vielleicht mal darüber nachdenken, was Sie jetzt tun sollten. Ihr Gemahl überlegt, ob er Sie töten sollte, weil Sie und Damek die Ehre seiner Familie verletzt haben; der Zauberer Ezra trachtet nach Ihrem Blut; und Damek schleicht durch Elbasa, als wollte er jemanden meucheln. Ich schwöre, ich weiß nicht, wohin ich mich wenden soll.«
»Mich töten?« Lina starrte mich mit einem Ausdruck ungläubiger Verblüffung an. Am liebsten hätte ich sie geschlagen. »Wie kann Tibor nur daran denken, mich zu töten?«
»Wenn Sie das selbst nicht wissen, Frau Lina, dann weiß ich nicht, wie ich es Ihnen erklären soll.«
»Du hast aber schlechte Laune, Anna!« Einen Moment lang musterte sie mich abwägend, dann wandte sie sich wieder ihrer Beobachtung des Weges zu. »Bist du etwa eifersüchtig?«
»Eifersüchtig?«, fragte ich. »Eifersüchtig worauf?«
»Hättest du es nicht auch gern, dass Männer um dich kämpfen?«
Die schiere Bosheit dieser Äußerung verschlug mir die Sprache. Ich redete mit ihrem Hinterkopf – ich wusste, dass sie meinen Blick spüren konnte, obwohl sie sich mir nicht zudrehen wollte – und ließ sie wissen, dass Eifersucht die letzte meiner Untugenden sei. Ich fühlte mich zu Tode erschöpft. Nicht nur um den Betrieb des Hauses musste ich mich kümmern, ich hatte zudem nahezu jede wache Stunde ihrer Pflege geopfert, mich um ihre Gesundheit gesorgt und mich darüber hinaus noch mit Tibor, dessen Mutter und Damek herumgeschlagen, ganz zu schweigen von dem Zauberer. Und dies, so fragte ich sie, sollte nun der Dank für meine Mühen sein?
Ich hätte mich noch weiter ausgelassen, aber Lina brachte mich zum Schweigen. Ihre Stimme klang ruhig, ohne jede Erregung, und doch stellten sich mir bei ihren Worten die Nackenhaare auf.
»Hör mir zu, Anna«, sagte sie. »Es geht mir gut. Ich bin müde, aber ich denke, ich bin dabei, mich zu erholen. Jedenfalls fühle ich mich heute klarer im Kopf als seit … ach, seit Monaten. Vielleicht sogar seit Jahren. Von dem Moment an, in dem die Schmerzen einsetzten, hatte ich das Gefühl, dass mein Körper einen inneren Krieg ausfocht, dass ich einen Krieg mit mir selbst ausfocht; und heute Morgen erfüllt mich endlich Friede. Und all diese Tage habe ich nachgedacht. Was immer du glaubst, ich bin keine Närrin. Mir ist vollkommen bewusst, dass mich dieses Miststück tot sehen will. Tibor könnte mich niemals ermorden, selbst wenn ihn dieses Weib gegen mich aufhetzt; und jetzt, da sie weg ist, wird er mir vielleicht wieder wohlgesonnen sein.«
»Er sagt, dass Sie ihn in jeder Hinsicht betrogen haben und er Ihnen nicht verzeihen kann!«, rief ich.
Sie vollführte eine ungeduldige Geste und betrachtete weiter nachdenklich die Aussicht vor dem Fenster. »Ach was«, entgegnete sie. »Natürlich wird er mir verzeihen.«
Ich fürchtete mehr als dass ich wünschte, sie würde recht behalten: Die Selbstgefälligkeit, mit der sie über ihren Gemahl sprach, entsetzte mich. »Aber was ist mit Damek?«
»Damek wird lernen, mich zu respektieren«, sagte sie. »Ich hatte die vergangenen Tage nicht die Kraft, mich mit ihm zu befassen, und ich bin froh, dass er nicht gekommen ist, so sehr ich mich auch danach sehne, ihn zu sehen. Er spricht so leichtfertig von Verrat – er, der von mir fortgegangen ist und mich so viele Jahre allein gelassen hat! Und er weiß, dass ich vor dem Antlitz Gottes verheiratet bin; ebenso weiß er, dass nichts, was ich tun könnte, die Freundschaft zwischen uns verraten kann.«
Ich seufzte angesichts ihrer Einfältigkeit und Blindheit. »Ich bezweifle, dass Damek das so sehen wird«, meinte ich.
»Er wird«, beharrte sie. In ihrer Stimme schwang eine Härte mit, die ich bei ihr noch nie zuvor vernommen hatte, nicht einmal, als sie ein junges Mädchen war. »Er wird lernen, dass ich kein Goldschatz bin, den es zu erobern, zu besitzen und zu benutzen gilt – denn so betrachtet er mich, Anna. Er wollte schon immer Dinge besitzen! Niemand liebt Geld mehr als Damek – Tibor ist auf seine Weise
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