Land des Todes
doch der hasserfüllte Blick zwischen den beiden brachte die Luft regelrecht zum Knistern.
Ich glaube, Frau Alcahil bemerkte nichts von alledem: Sie hätte Damek nicht von Adam zu unterscheiden vermocht und eilte bereits weiter zu ihrer Kutsche, während sie sich über die Kälte beklagte. Nachdem die Verabschiedung erfolgt war und die Kutsche anrollte, seufzte Tibor schwer.
»Tja, Annie«, sprach er mich ungewöhnlich direkt an. »Mein Leben ist ein schlechter Scherz. Mutter meint, wenn ich auch nur das geringste Ehrgefühl besitze, sollte ich meine Frau umbringen.« Bedrückt und händeringend stand er da, als würde er tatsächlich über diese Möglichkeit nachsinnen. »Ich bin nicht sicher, ob ich so viel Ehrgefühl besitze«, fügte er schließlich hinzu. »Wie könnte ich Lina töten, auch wenn ich weiß, was sie ist? Jeden Morgen bete ich, sie möge tot sein, auf dass mir der Ärger erspart bliebe. Wenn sie nicht stirbt, was dann? Soll ich zulassen, dass sie mir von diesem Dieb mit dem schwarzen Herzen fortgenommen wird? Wird mich der Zauberer verfluchen, weil ich mit einer Hexe vermählt bin? Was soll ich tun?«
Zuerst war ich so bestürzt, dass ich eine Weile schier sprachlos dastand; aber da er aus der Tiefe seines Herzens sprach, war eine Antwort das Mindeste.
»Herr Tibor, ich weiß nicht, was ich Ihnen raten soll«, sagte ich. »Aber ich finde, es haben sich in diesem Dorf bereits genug Tode ereignet.«
»Ich weiß, dass du auf Linas Seite bist«, erwiderte er. »Aber selbst du musst einräumen, dass sie eine treulose Hure ist. Sie hat mich in jeder Hinsicht betrogen, und ich kann ihr nicht verzeihen. Trotzdem denke ich immer noch mit weichem Herzen an sie und wünschte, dass sie mich vielleicht lieben könnte. Meine Mutter hingegen meint, sie habe mich verhext.«
Er wirkte so verloren, dass ich mich vergaß und seine Hand ergriff. »Gott schütze Sie, Herr«, sagte ich. »Sie haben ein gutes Herz. Lassen Sie uns nicht mehr vom Töten sprechen! Ich bin sicher, es wird letztlich alles gut.«
»Gottes Wege sind unergründlich, hm, Annie?« Mit zusammengekniffenen Augen schaute er zum Himmel empor. »Ich frage mich, was ich verbrochen habe, dass ich so bestraft werde.«
Wieder wusste ich keine Antwort, und es trat eine kurze Stille ein. »Naja, einen Trost gibt es ja noch«, sagte er schließlich und lachte freudlos auf. »Und den finde ich am Boden des Glases.« Damit stapfte er zur Taverne davon.
Ich schaute ihm nach und bedauerte diese missliche Lage zutiefst. In Wirklichkeit sah ich selbst keinen Ausweg, wenngleich ich, im Gegensatz zu ihm, unmöglich darauf hoffen konnte, dass Lina starb. Stattdessen überlegte ich, ob es nicht vielleicht am besten wäre, wenn sie mit Damek nach Süden ginge. Wenn Tibor sie nicht tötete, um die Ehre der Alcahils zu retten, würde es vielleicht sein Vater tun. Und selbst, wenn die Alcahils beschlössen, sie zu verschonen, war da noch die Drohung des Zauberers Ezra, an dessen üblen Absichten ich nicht zweifelte und die ich mir gar nicht auszumalen wagte. Allerdings konnte Lina in ihrem gegenwärtigen Zustand nicht in den Süden reisen, selbst wenn sie eingewilligt hätte, zu gehen – was ich bezweifelte –, und obendrein würden die Straßen bald unpassierbar sein. Der Winter stand vor der Tür, und ich wusste beim besten Willen nicht, was werden sollte.
Ich erledigte meine Besorgung und stellte die Köchin ein; danach wanderte ich mit schwerem Herzen zur Manse zurück. Als ich eintraf, stellte ich fest, dass sich Lina aus dem Bett erhoben und mit Irlis Hilfe gebadet und angekleidet hatte. Sie saß auf ihrem Sitz am Fenster und betrachtete denverschneien Weg, der zum Haus führte. Als ich die Stube betrat, schaute sie auf und lächelte fröhlich.
»Also, ist das Miststück endlich weg?«, fragte sie.
Ich zögerte angesichts ihres Gesichtsausdrucks, und sie lachte über mich. »Du weißt schon, wen ich meine, Anna. Jetzt tu nicht so zimperlich. Ich dachte, ich müsste platzen, wenn diese Frau noch länger bliebe. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich schon tausend Mal gestorben. Ich schwöre, sie war drauf und dran, die Hufeisen von den Türen zu entfernen.«
Ich erwiderte, dass Frau Alcahil in der Tat zu ihrem eigenen Haus aufgebrochen war. »Sie und Herr Tibor haben zuvor Ihre Tochter besucht«, setzte ich mit Betonung hinzu. Nach dem deprimierenden Gespräch mit ihrem Mann empfand ich ihre gute Laune als enervierend. »Mich wundert, dass Sie sich nie
Weitere Kostenlose Bücher