Landgericht
verschlägt dich denn hierher? Deine Aussage hast du doch gestern schon gemacht, oder?«
»Ich habe frei«, erklärte Hambrock und reichte ihm die Hand. Eine Wolke von Zigarrenrauch umgab den Reporter. »Mir war einfach langweilig, deshalb bin ich hier.«
»Langweilig? Was du nicht sagst.«
»Ich feier ein paar Überstunden ab. Bei uns ist gerade tote Hose, und weil mir nichts Besseres eingefallen ist, dachte ich, gucke ich mir die Verhandlung an. Du weißt schon, zu Hause rumzusitzen, das ist nichts für mich.«
Hubertus Meyer zog seine buschigen Augenbrauen zusammen.
»Da war doch kein unbekannter Dritter am Tatort, oder?«
»Meine Meinung dazu hast du gestern ja gehört.«
»Deine offizielle Verlautbarung habe ich gehört.«
Hambrock grinste. »Etwas anderes gibt es nicht.«
»Komm schon. Du bist doch nicht ohne Grund hier, Hambrock. Zweifelst du etwa an der Schuld dieser Jungen? Ist doch etwas dran an der Sache?«
»Was soll das denn werden, Hubertus? Denkst du etwa, ich plaudere Interna aus? Oder gebe vor der Presse private Mutmaßungen ab? Da müsstest du mich eigentlich besser kennen.«
»Aber wenn es keinen Zweifel gäbe, wärst du doch nicht hier. Das kannst du mir nicht erzählen.«
»Es gibt keinen Zweifel. An der Sache mit dem unbekannten Dritten ist nichts dran, das ist totaler Schwachsinn. In der Aussage gestern habe ich alles dazu gesagt. Ob du es glaubst oder nicht, Hubertus, ich weiß einfach mit meiner Zeit nichts Besseres anzufangen. Wir haben so viel gearbeitet in der letzten Zeit, und plötzlich habe ich frei. Da brauche ich ein paar Tage zum Runterkommen, bevor ich wirklich entspannen kann.«
Der Journalist wirkte enttäuscht. »Also gut, Hambrock. Ich will dir das mal glauben«, sagte er und kratzte sich wieder am Kopf. »Was hältst du davon, wenn ich dich oben in der Kantine auf einen Kaffee einlade?«
»So spendabel? Du hast doch nicht etwa Hintergedanken dabei?«
»Unsinn.« Ein gehustetes Lachen. »Wie kommst du denn auf so was?«
»Also gut. Ich nehm die Einladung gerne an. Aber nur, wenn du mir versprichst, mich nicht nach unseren Ermittlungen auszufragen.«
Sie folgten den letzten Zuschauern in den Lichthof. Hinter ihnen wurde die Saaltür abgeschlossen. Auf einer Bank zwischen zwei Birkenfeigen entdeckten sie Klaus Baar und seine Tochter. Der Patriarch saß mit verschränkten Armen da und blickte düster drein. Er und seine Tochter redeten nicht miteinander. Sie warteten offenbar auf ihre Anwälte, um sich berichten zu lassen, was in ihrer Abwesenheit geschehen war.
»Da sitzt ja die Gewinnerin dieser Geschichte«, gab Hubertus Meyer trocken von sich. »Nicole Baar. Die neue Unternehmenserbin. Der Tod ihres Bruders hat sie natürlich auch sehr getroffen. Aber sie dürfte den Schicksalsschlag dauerhaft am besten verkraften.«
»Ich weiß nicht, Hubertus. Ist das nicht ein bisschen zynisch?«
»Nicht, wenn man die Familie besser kennt. Glaub mir, Nicole und Marius waren sehr ungleiche Geschwister. Und sie haben sich gehasst.«
»Das ist mir schon klar. Aber trotzdem. Das ist nicht gerade pietätvoll.«
»Kennst du die Geschichte denn? Es ist im Grunde wie in einer alten Königssage«, plauderte Hubertus Meyer drauflos. »Das Drama um den erstgeborenen Sohn.«
Natürlich kannte Hambrock die Geschichte, schließlich hatte er die Ermittlungen geführt. Aber er war neugierig, wie Hubertus das Ganze darstellen würde. Also ließ er ihn reden.
»Marius sollte das Lebenswerk seines Vaters weiterführen, das war von Anfang an so vorgesehen. Klaus Baar ist in manchen Sachen sehr traditionell, musst du wissen, geradezu wie aus einem anderen Jahrhundert. Was die Erbfolge angeht zum Beispiel, da war nicht mit ihm zu reden. Marius war sein ältester Sohn, und fertig. Und das, obwohl Marius erkennbar nicht geeignet war für den Job. Er hatte eine Menge Schwächen. Er war nicht unbedingt der Hellste, und Unternehmergeist ging ihm auch völlig ab. Die Noten waren mittelmäßig, dann gab es immer irgendwelche Frauengeschichten, und es war einfach kein Zug drin. Es fehlte an jeglichem Eifer. Der alte Baar versuchte das durch Drill auszugleichen. Er hat seinen Sohn in jeder freien Minute durch die Firma geschleift, hat ihn auf die Uni geschickt, damit er BWL studiert, und so weiter. Dabei hat er wohl die ganze Zeit gehofft, dass Marius irgendwie noch zu einem Unternehmer heranreifen würde.«
Hambrock lächelte. Hubertus hätte auch als Märchenonkel auf dem Weihnachtsmarkt
Weitere Kostenlose Bücher