Landgericht
Jünger‹. Hört sich ja ziemlich verwegen an.«
Roland wurde wachsam. Er schien genau auf seine Worte zu achten: »Odin ist der Göttervater in der nordischen Mythologie. Es gibt viele Leute, die sich für alte Mythen interessieren. Odin ist da sozusagen der wichtigste Gott. In dieser Facebook-Gruppe sind eine Menge Leute, die diese alten Sagen toll finden.«
»Es geht doch auch um Genetik, richtig? Darum, den Genpool der Nordeuropäer zu schützen. Ihr seid gegen Einwanderung und solche Dinge.«
Hambrock ließ seine Stimme ganz neutral klingen. Er wollte hier nicht über rechte Ideologie diskutieren.
Trotzdem. Der Junge schien bei diesem Thema dichtzumachen. Sein Blick wirkte plötzlich stur, dann wandte er das Gesicht ab.
»Wie fandest du es denn, dass Marius eine Mulattin als Freundin hatte? Das muss dir doch ziemlich gegen den Strich gegangen sein.«
Der Junge schien zu begreifen, was Hambrock damit andeuten wollte. Er stellte einen Zusammenhang zwischen ihm und der Tat fest.
»Ich hab da nichts mit zu tun!«, rief Roland. »Ich würde doch niemals meinen Bruder … Das ist Wahnsinn. Außerdem kannte ich Lennard doch kaum. Ich hab nichts damit zu tun! Was denken Sie überhaupt von mir?«
»Ich denke gar nichts, Roland. Ich stelle nur Fragen.«
»Sie sind verrückt! Ich hab da nichts mit zu tun. Ich hab nur wegen meines Vaters nichts gesagt. Er hat mir verboten, mich mit bestimmten Freunden zu treffen. Wegen deren politischer Einstellung. Das hat richtig Ärger gegeben. Sie kennen meinen Vater nicht, wenn er was will, dann setzt der sich auch durch. Da hat man keine Chance.«
»Dein Vater wollte also verhindern, dass du mit Rechtsradikalen in Kontakt kommst. Ist Lennard denn auch ein Rechter?«
Rolands Gesicht verschloss sich wieder. Er sah Hambrock an, als wollte er sagen: Du hast doch eh keine Ahnung.
»Meinem Vater geht’s nur darum, was andere über uns denken könnten. Die Familie Baar muss nach außen hin perfekt sein, um jeden Preis. Ich hab mich daran gehalten, schließlich bin ich nicht lebensmüde. So lange ich noch nicht alt genug bin, um abzuhauen, mache ich besser, was er sagt. Da war nur diese Facebook-Gruppe, sonst nichts. Alle anderen Kontakte habe ich abgebrochen, wie mein Vater das gewollt hat. Ein bisschen auf Facebook chatten, das ist doch kein Verbrechen. Aber der alte Herr würde das in den falschen Hals kriegen. Und dann gnade mir Gott. Dabei war Lennard der Einzige aus der Gruppe, mit dem ich mich je getroffen habe. Und das auch nur, weil der aus Gertenbeck ist und weil sein Vater genauso bescheuert ist wie meiner, deshalb.« Roland sah Hambrock flehentlich an. »Bitte, Sie dürfen meinem Vater nichts davon sagen. Der würde durchdrehen, weil ich ihm das verheimlicht habe. Da kann ich mir gleich die Kugel geben. Bitte. Das ist doch total unnötig, dass der das erfährt. Ich kannte Lennard doch kaum.«
Nach einer Weile ließen sie ihn wieder gehen. Die beiden hatten genug gehört. Nachdenklich sahen die Kommissare dem Jungen nach. Dann setzten sie sich in den Dienstwagen und starteten den Motor.
»Was hältst du davon?«, fragte Keller.
»Keine Ahnung. Kommt mir nicht so vor, als ob der Junge lügen würde, was seine Bekanntschaft mit Lennard angeht.«
»Also ist alles nur Zufall?«
»Siehst du irgendwo einen begründeten Verdacht? Was soll das Motiv sein? Abgesehen von der Tatsache, dass Marius’ Freundin Mulattin war? Ist ein bisschen sehr herbeigebogen, oder nicht?«
Hambrock nickte. »Ja, da hast du recht.«
»Außerdem musst du dir ansehen, wie der Tatablauf war«, meinte Keller. »Da hat sich ein Streit entwickelt. Marius hat zur Eskalation beigetragen. Das war ja kein Überfall oder so etwas. Kein geplanter Mord. Hätte Marius sich etwas besonnener verhalten, wären sie einfach weitergegangen. Sie hatten es nicht auf ihn als Person abgesehen.«
»Das stimmt auch.« Hambrock betrachtete den dichten Berufsverkehr. »Aber danke, dass du mitgekommen bist, Henrik. Du hattest sicher etwas anderes vor mit deinem freien Tag.«
»Ach was, gern geschehen. Was willst du denn jetzt tun?«
Hambrock zuckte die Schultern. »Ich gehe zum Staatsanwalt. Er soll zumindest darüber Bescheid wissen.«
»Wenn du mich fragst, ist das ein Sturm im Wasserglas.«
»Trotzdem. Er soll das entscheiden. Bringen wir das noch hinter uns. Danach kannst du nach Hause fahren.«
Die Sache mit Roland Baar ging Hambrock nicht aus dem Kopf. Es gelang ihm einfach nicht, abzuschalten und seine
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