Landgericht
Fenstern der Kantine blicken, wo er gestern noch gesessen und Kaffee getrunken hatte. Da war er der festen Überzeugung gewesen, den Fall Marius Baar auf sich beruhen zu lassen. So schnell konnten sich Meinungen ändern.
Die Schulglocke schrillte, und kurz darauf ergoss sich ein nicht enden wollender Strom von Schülern aus dem Gebäude. Die letzte Stunde war vorüber, und der lärmende Pulk wälzte sich langsam zu den Bushaltestellen.
Hambrock lehnte mit verschränkten Armen am Dienstwagen. Neben ihm stand Henrik Keller, der eine Zigarette nach der anderen rauchte, obwohl das auf dem Schulgelände sicherlich untersagt war. Hambrock wunderte sich, dass bislang noch kein aufgeregter Hausmeister aufgetaucht war.
Das Paulinum. Als Hambrock erfahren hatte, dass Roland Baar diese Schule besuchte, hatte ihm das ein Lächeln entlockt. Es war typisch. Das älteste und traditionsreichste Gymnasium in Münster. Hambrock wusste zwar nicht, ob die Schule tatsächlich so elitär war, wie sie sich gab. Aber trotzdem sagte das eine Menge über Klaus Baar aus, dem das Gertenbecker Gymnasium offenbar nicht gut genug für seine Kinder war.
»Da ist er«, sagte Keller und deutete zu einer Gruppe von Jungen, die über den Schulhof schlurften. Er trat seine Zigarette aus und steuerte auf die Jugendlichen zu. Hambrock stieß sich vom Wagen ab und folgte ihm.
Roland Baar trottete stumm neben seinen Mitschülern her, die in ein Gespräch verwickelt waren. Als er gelangweilt aufblickte, entdeckte er die beiden Kommissare. Roland wusste sofort, um wen es sich bei den Männern handelte. Er geriet ins Straucheln und ging mit großen Augen auf sie zu. Seine Mitschüler bemerkten gar nicht, dass er ausscherte, sie gingen einfach plaudernd weiter.
»Hallo, Roland«, sagte Hambrock. »Hast du einen Moment Zeit für uns?«
»Ist was passiert? Mit meinem Vater? Oder mit Nicole?«
»Nein, es ist alles in Ordnung. Wir möchten nur kurz mit dir reden.«
Sie kehrten den lärmenden Schülermassen den Rücken und traten auf den Parkplatz neben den Dienstwagen. Keller kam sofort zum Thema.
»Sagt dir der Name ›Odins treue Jünger‹ etwas?«, fragte er. »Das ist eine Facebook-Gruppe.«
Augenblicklich wich alle Farbe aus Rolands Gesicht. Damit hatte er ihn offenbar kalt erwischt.
»Bitte! Sagen Sie meinem Vater nichts davon.«
»Wovon sollen wir ihm nichts sagen?«, fragte Keller.
»Von Lennard. Dem Angeklagten. Dass ich ihn gekannt hab. Das darf mein Vater nicht wissen.«
Hambrock und Keller wechselten einen Blick.
»Dann erzähl uns doch mal von Lennard«, sagte Hambrock. »Seit wann seid ihr befreundet?«
»Wir sind gar nicht richtig befreundet. Ich hab ihn auf Facebook kennengelernt, in dieser Gruppe eben. Da hat Lennard mal was gepostet, als er Zoff mit seinem Vater hatte. Ich hatte auch gerade Stress mit meinem Alten, und so haben wir uns kennengelernt. Wir haben immer mal wieder ein bisschen gechattet, ein paar Tage ging das so. Erst dachte ich auch, der ist ganz okay. Ich fand’s cool, dass der aus Gertenbeck kommt. Deswegen habe ich ihm vorgeschlagen, dass wir uns mal treffen. Als er dann bei mir war, fand ich den dann aber irgendwie komisch. Im echten Leben konnte ich doch nicht so viel mit dem anfangen, so ist das ja manchmal. Außerdem hatte ich das Gefühl, der will mir ständig was beweisen, nur weil er auf diesem Schrottgymnasium in Gertenbeck ist und nicht wie ich auf dem Paulinum.«
»Ihr habt euch im Haus deiner Eltern getroffen, sagst du?«, fragte Hambrock.
»Ja, aber nur einmal. Vor einem Jahr oder so. Meine Eltern haben den damals nicht mal gesehen, die waren in der Firma.«
»Und bei diesem einen Treffen ist es geblieben?«
»Ja. Wirklich nur das eine Mal, ich schwöre.«
»Wieso hast du nicht gesagt, dass du ihn kennst? Immerhin hat er deinen Bruder totgeprügelt. Das kannst du doch nicht für dich behalten. Weshalb auch? Das musst du uns schon erklären.«
Roland blickte betreten zu Boden. »Zuerst war ich total geschockt«, sagte er. »Dann wollte Vater wissen, ob wir diese Typen kennen. Schließlich kamen die aus Gertenbeck. Ich stand da noch unter Schock, und da habe ich Nein gesagt. Keine Ahnung, weshalb. Ich wollte wohl keinen Ärger haben. Und dann war es irgendwann zu spät, um zurückzurudern.«
Hambrock betrachtete ihn schweigend. Er konnte sich bereits denken, weshalb Roland seinem Vater nichts gesagt hatte.
»Worum geht es eigentlich in dieser Facebook-Gruppe?«, fragte er. »›Odins treue
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