Landgericht
Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Oh doch, das weißt du ganz genau. Glaub nicht, dass du mich verarschen kannst.«
Da war wilde Entschlossenheit. Nicole fühlte sich überrumpelt. Ein seltenes Erlebnis. Sie spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde.
»Du … aber …«, stammelte sie.
»Die Polizei war da. Sie haben mir ein Foto von Jens gezeigt. Er war in dem Zug, mit dem Marius immer gefahren ist. Das war genau zu erkennen.«
Die Schrecksekunde war vorbei. Nicole ging in die Offensive. Sie durfte sich nichts anmerken lassen.
»Ich hab keine Ahnung, wovon du redest. Vielleicht solltest du mir zuerst sagen, was die Polizei damit sagen will. Dann war er halt im Zug. Das war ich auch schon oft. Und weiter?«
»Verschwinde. Lass mich in Ruhe.«
»Roland, das ist doch albern. Jetzt sag mir doch erst einmal, was die überhaupt von dir wollten.«
Er antworte nicht, sondern knallte ihr die Tür vor der Nase zu.
»Roland! Verdammt noch mal!«
Bevor sie ihm ins Zimmer folgen konnte, schloss er die Tür ab. Sie war ausgesperrt.
»Roland! Du kannst mich doch nicht einfach so stehen lassen. Mach die Tür auf!«
Nichts. Es blieb still. Wütend schlug sie mit der Hand gegen die Tür. Dann verschränkte sie die Arme und überlegte, was zu tun war.
Am Ende des Flurs tauchte eine Gestalt auf. Ihr Vater. Er blieb stehen und sah zu ihr herüber. Es waren vorwurfsvolle Blicke, mit denen er sie bedachte. Nicole starrte zurück. Sie wagte kaum Luft zu holen. Hatte er etwas von diesem Streit mitbekommen? Als Nächstes drehte sich ihr Vater um, und kurz darauf war er wieder verschwunden.
Nein. Er konnte nichts gehört haben. Nichts, was sie verraten würde. Trotzdem. Er spürte offenbar, dass hier etwas in Unordnung war. Nicole musste das aus der Welt schaffen. Sie musste mit Roland reden. So bald wie möglich.
20
Geschirrgeklapper weckte ihn. Die Sonne fiel warm durchs Schlafzimmerfenster. Marius räkelte sich. Nathalies Duft war überall in den Kissen und dem Laken. Eine Welle des Glücks erfasste ihn. Dies war seine Zukunft. Er konnte es immer noch nicht fassen. Es war tatsächlich sein Leben. Kein Traum.
Er stand auf, stieg in seine Boxershorts und schlurfte zur Küche. Nathalie stand mit dem Schlaf-T-Shirt, das kaum über ihren Hintern reichte, am Herd und machte Rührei. Mikey war auch schon auf. In Shorts und Unterhemd und mit einer Zigarettenkippe im Mundwinkel schnitt er am Küchentisch eine Zwiebel klein. Beide hatten gute Laune, das sah Marius sofort, sie schäkerten herum und lachten. Wie eine richtige Familie.
Marius blieb im Türrahmen stehen. Er spürte einen Stachel. Die beiden wirkten vertraut wie ein Paar. Er fragte sich: Wäre Mikey nicht im Grunde der bessere Partner für Nathalie? Er war selbstbewusst, unabhängig, kreativ. Genau wie sie. Ganz anders als Marius. Nicoles Worte waren wieder in seinem Kopf. Was fand Nathalie an ihm? Was hatte er einer Frau zu bieten? Wie lange würde das zwischen ihnen dauern? Und wann würde sie ihn sitzen lassen?
»Hey! Guten Morgen, Kumpel.«
Mikey hatte ihn in der Tür entdeckt und grinste. Nathalie stellte das Gas auf kleine Flamme und wandte sich vom Herd ab. Sie strahlte, zog Marius heran und küsste ihn.
»Guten Morgen«, flüsterte sie. »Kaffee für dich?«
»Nein, ich geh erst duschen.«
»Brauchst du jemanden, der dir den Rücken einseift?«
»Leute, hier sind noch anständige Personen im Raum«, mischte sich Mikey an.
Nathalie lachte. »Ach, stell dich nicht so an.«
Dann gab sie Marius einen Klaps auf den Po.
»Beeil dich, das Frühstück ist gleich fertig.«
Sie küsste ihn nochmals und wandte sich wieder dem Herd zu.
Marius zwang sich, Nicoles Worte zu verscheuchen. Er wollte nicht, dass ihr Gift bei ihm wirkte. Seine Schwester hatte schließlich keine Ahnung von seinem Leben. Und für Eifersucht gab es keinen Grund.
»Mikey ist so etwas wie mein großer Bruder«, hatte Nathalie einmal gesagt. »Ich weiß nicht… Ich habe das Gefühl, er beschützt mich. Er ist ein toller Mitbewohner.«
Geschwister. Das war es, was am ehesten zutraf. Marius hatte keinen Grund, daran zu zweifeln. Nathalie würde bei ihm bleiben, egal, was Nicole dachte.
Nach dem Frühstück packte er seine Sachen. Nathalie, die immer noch im Schlaf-T-Shirt am Tisch hockte und rauchte, stand auf und schmiegte sich an ihn. Der Duft ihres Körpers nahm ihn gefangen. Am liebsten hätte er sie ins Schlafzimmer getragen und geliebt.
»Willst du wirklich schon gehen?«, fragte
Weitere Kostenlose Bücher