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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkoetter
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ein Motiv?«
    »Ich war das nicht, das müssen Sie mir glauben. Ich würde doch meinem Bruder nichts tun.«
    »Wer war es dann, Roland? Sag mir: Wer hat ein Motiv?«
    Der Blick des Jungen wanderte ziellos umher. Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. Es tut mir leid.«
    »Marius hatte sicherlich Feinde. Wer kommt infrage, wenn nicht du?«
    »Keine Ahnung. Feinde gab es da nicht. Der hatte ja auch nicht viele Freunde. Ein paar Leute an der Uni, das war’s.« Ihm schien etwas einzufallen. »Was ist denn mit dieser … dieser Freundin, die er hatte. Wer weiß, was die für ein Umfeld hat. Haben Sie da schon mal nachgeforscht?«
    Sein Gesichtsausdruck änderte sich mit einem Mal. Von Unsicherheit war nichts mehr zu spüren. Sturheit und Hass verliehen ihm eine ungeahnte Härte.
    »Natürlich. Wer soll es sonst gewesen sein? Vielleicht war es ja auch einer von ihrer Sippe. Das ist doch klar. Diese Affen haben meinen Bruder auf dem Gewissen, da bin ich ganz sicher.«
    »Das warten wir erst mal ab«, meinte Keller und verschränkte die Arme. »Bisher scheint es mir sinnvoller, dich im Auge zu behalten.«
    Hambrock zog das Foto des Unbekannten im Zugabteil hervor, den Michael fotografiert hatte, und hielt es Roland vor die Nase.
    »Kennst du diesen Mann?«, fragte er und beobachtete dabei genau seine Reaktion.
    Er kannte ihn. Das war Hambrock sofort klar. Ein Schatten fiel über das Gesicht des Jungen. Der Blick begann zu flattern. Da war ein Hauch von Panik.
    »Wer ist das?«, fragte Hambrock streng.
    »Ich kenn den nicht. Tut mir leid.«
    »Roland, verarschen kann ich mich selber. Wer ist dieser Mann? Ich will, dass du mich aufklärst.«
    »Aber ich sage doch, ich weiß es nicht. Ich hab den noch nie gesehen.«
    »Ich weiß, dass du ihn kennst. Sag mir sofort, wie er heißt. Sonst …«
    »Sonst gehen wir rüber zu deinem Vater«, ergänzte Keller, »und erzählen ihm ein paar Geschichten, die ihn interessieren dürften.«
    Roland sah verzweifelt zum Firmengebäude.
    »Ich kenne den Typen auf dem Foto nicht. Bitte, Herr Hambrock. Sie müssen mir glauben.«
    »Wir machen Ernst, Roland«, sagte Keller. »Besser, du überlegst es dir.«
    Doch es war nichts zu machen. Der Junge bestand darauf, den Mann auf dem Foto noch nie gesehen zu haben. Er war sogar bereit, dafür Ärger mit seinem Vater in Kauf zu nehmen, vor dem er doch solche Angst hatte.
    Schließlich ließen Hambrock und Keller ihn in Ruhe. Sie kamen hier nicht weiter, nicht heute. Roland nahm seinen Schulranzen und stolperte eilig davon. Sie blickten ihm nach, bis er durch die Eingangstür im Inneren der Firma verschwunden war.
    »Er kennt ihn«, stellte Hambrock fest.
    »Natürlich.« Keller seufzte. »Aber offenbar hat er vor diesem Mann mehr Angst als vor seinem Vater. Und das soll was heißen.«
    »Das denke ich auch. Wir müssen unbedingt herausfinden, wer der Mann auf dem Foto ist.«
    Keller nickte.
    »Dann lass uns mal anfangen«, sagte er, öffnete die Tür des Dienstwagens und schwang sich hinters Steuer.
    Hambrock warf noch einen Blick zu dem Firmengebäude. Die Sonne spiegelte sich in den Fenstern, keine Menschenseele war zu erkennen.
    »Ja, fahren wir«, sagte er und stieg ebenfalls ein.
    Etwas war geschehen. Nicole wusste nicht genau, was. Aber sie spürte die Veränderung. Das Gefüge verschob sich. Roland entglitt zunehmend ihrem Einfluss. Diese Entwicklung war schleichend gewesen, angefangen hatte sie mit Marius’ Tod. Seitdem zog er sich von ihr zurück. Aber heute war sein Verhalten sonderbar. Er machte völlig dicht. Schaffte es nicht einmal, ihr in die Augen zu sehen. Und das war selbst für Roland ungewöhnlich. Es war etwas passiert, das spürte sie.
    Nach dem Abendessen hatten sich alle Familienmitglieder zurückgezogen. Die Eltern gingen ins Wohnzimmer, wo sie den Fernseher einschalteten. Nils hockte sich vor seinen Monitor und vertiefte sich in sein dämliches Computerspiel. Und Roland war wortlos in sein Zimmer verschwunden und hatte die Tür fest verschlossen.
    Sie musste herausfinden, was passiert war. Leise schlich sie über den Flur. Vor Rolands Zimmer blieb sie stehen. Sie lauschte. Alles war still. Vorsichtig klopfte sie gegen das Türblatt. Nichts geschah.
    »Roland? Darf ich reinkommen?«
    Er antwortete nicht.
    »Roland! Bitte.«
    Die Tür wurde ganz plötzlich aufgerissen. Nicole stolperte einen Schritt zurück. Roland stand vor ihr und funkelte sie an.
    »Ich weiß Bescheid!«, fauchte er.
    »Wie bitte?

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