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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkoetter
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zu bringen. Marius’ Gesicht lief rot an, sein ganzer Kopf war glühend heiß. Er musste sich doch wehren. Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen.
    »Ist das ein soziales Projekt oder so etwas?«, fragte sein Vater.
    »Ein… was?«
    »Du weißt genau, was ich meine.«
    Nicole musste von Nathalies Fachbereich erzählt haben. Sie studierte Geisteswissenschaften. Außerdem kam sie aus einem Angestelltenhaushalt. In den Augen seines Vaters war sie damit nur knapp oberhalb der Unterschicht.
    »Ihr Vater arbeitet als Ingenieur«, verteidigte er sich schwach. »Sie kommt doch aus keinem Ghetto.«
    Das schien ihn nicht zu beeindrucken. Nathalie war anders, das stand außer Frage. Schließlich war Marius bisher nur mit Frauen aus seinem Fachbereich zusammen gewesen. Mit seinesgleichen: höhere Töchterchen, ausnahmslos aus gutem Hause.
    Sein Vater schob die Dokumentenmappe beiseite und legte die Handflächen auf den Tisch. Jetzt galt seine ungetrübte Aufmerksamkeit Marius.
    »Ich kann dich ja verstehen«, sagte er. »Du bist jung. Du willst Abenteuer erleben. Mal was anderes sehen. Das ist ja auch in Ordnung. Du kannst ruhig deine kleinen Geheimnisse haben. Aber du weißt dabei hoffentlich, dass diese Dinge vorübergehen?«
    Es war weniger eine Frage als eine Feststellung. Marius begann zu blinzeln. Er wollte sich das nicht gefallen lassen. Er wollte für seinen Standpunkt kämpfen. Doch sein Kopf war wie leer gefegt.
    »Besser, du verrennst dich da nicht«, sagte sein Vater.
    Dann verschränkte er die Arme und fixierte ihn.
    »Warst du bei dieser Frau, Marius?«
    »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    »In den letzten Wochen, in denen du ständig nach Münster gefahren bist, um mit deinen Kollegen zu lernen. Warst du da bei ihr? Ich schätze mal, ich habt die Betten kaum verlassen.«
    Ein neuer Hitzeschub erreichte seinen Kopf. Marius ärgerte sich furchtbar, doch er konnte nichts dagegen tun. Er lief knallrot an.
    »Ich gehe also davon aus, dass dieses Semester verloren ist«, fuhr sein Vater fort. »Egal, dann holst du die verpassten Prüfungen eben im Wintersemester nach. Auf ein halbes Jahr kommt es nicht an.«
    Er beugte sich über den Tisch. »Hauptsache, du bist in der nächsten Woche, wenn die Semesterferien losgehen, hier im Unternehmen. Du musst mehr Präsenz zeigen. Dich in die neuen Sachen einarbeiten. Du hast in letzter Zeit gefehlt. Nicole versucht, dir die Butter vom Brot zu nehmen. Das willst du dir doch wohl nicht gefallen lassen? Dass deine Schwester dich an die Wand spielt?«
    Marius war noch immer völlig durcheinander.
    »Ich… Hat Nicole dir das gesagt mit Nathalie?«
    Eine blöde Frage, schließlich war das offensichtlich. Sein Vater machte sich nicht die Mühe, darauf zu antworten.
    »Also, ab nächster Woche bist du in der Firma. Wenn du diese kleine Affäre weiterlaufen lassen willst, bitte. Aber bring dieses Mädchen nicht mit nach Hause. Deine Mutter, du weißt schon. Wir haben uns verstanden?«
    In Marius’ Kopf war nur Rauschen. Darauf war er nicht vorbereitet gewesen. Dabei war es ganz einfach. Er musste es nur sagen: Ich gehe nach Berlin, mit Nathalie. Wir fangen ein neues Leben an. Ich verlasse die Firma.
    Er brauchte keine Angst davor zu haben. Ihm konnte schließlich nichts mehr passieren. Was sollte sein Vater schon dagegen ausrichten? Er konnte ihn lediglich enterben. Davonjagen. Verfluchen. Mehr nicht. Wovor ängstigte er sich? Sein Vater hatte doch gar keine Macht mehr über ihn. Jetzt, wo er bereit war, alles hinter sich zu lassen.
    »Also sehe ich dich Montagmorgen im Unternehmen«, stellte sein Vater fest. »Und dann gehen wir zusammen alles durch.«
    Marius schaffte es einfach nicht, den Rücken durchzustrecken und die Wahrheit zu sagen. Es war unmöglich.
    Schweigen legte sich über den Raum. Sein Vater lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er sah jetzt von oben auf Marius herab. Seine Stimme war kaum zu hören.
    »Oder bist du nächsten Montag gar nicht mehr hier?«
    Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Marius bekam keine Luft mehr. Sein Vater wusste Bescheid. Er kannte ihre Pläne. Marius hatte keine Ahnung, wie er es herausgefunden hatte, doch das spielte auch keine Rolle. Er kannte die Wahrheit.
    »Sitzt du dann vielleicht in einer stinkenden, asozialen Wohnung? Mitten in einem sozialen Brennpunkt in Berlin, weil du denkst, dass das Leben da besser ist?«
    Marius war immer noch starr vor Schreck. Sein Vater ließ das Gesagte nachhallen. Er lachte bitter.
    »Du bist

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