Landgericht
erbärmlicher, als ich gedacht habe. Du willst hier also alles hinwerfen, um in so einem stinkenden Loch zu leben?«
Mikey. Sein Vater musste mit Mikey gesprochen haben. Vielleicht hatte er ihm Geld gegeben. Mikey war chronisch pleite, das war seine Schwachstelle. So musste es gewesen sein. Ein paar Scheinchen, und Mikey hatte ihm alles erzählt.
Sein Vater wurde laut. »Beantworte meine Frage!«
»Es… es tut mir leid, Vater. Ich…«
»Es tut mir leid«, äffte er ihn nach. »Du sollst meine Frage beantworten, verflucht noch mal. Willst du tatsächlich alles hinwerfen, um in so einem Loch zu leben?«
Marius wusste nicht, was er sagen sollte.
»Wir… wir sind noch auf der Suche. Eigentlich wollen wir eine andere Wohnung.«
Sein Vater schnaubte verächtlich. »Eine andere Wohnung… Du hast keine Ahnung von Mietpreisen. Ihr habt kein Geld, wenn ich das richtig sehe. Wo wollt ihr denn da eine Wohnung mieten? Wedding oder Neukölln kämen preislich infrage, das stimmt. Heruntergekommene Arbeiterbezirke, wo ein paar hippe Galerien aufgemacht haben und die Preise langsam anziehen. Aber selbst da sind die Mieten im Grunde schon zu hoch für euch. Reine Glückssache. Berlin ist im Kommen. Wahrscheinlich müsst ihr am Ende in eine Plattenbausiedlung an den Stadtrand ausweichen. Bei dem, was ihr zahlen könnt, ist nur eins sicher: Es geht in jedem Fall mitten rein in die Unterschicht. Obdachlose, Alkoholiker, Junkies, Dealer. Und mein Herr Sohnemann. Na, das wird ein Spaß.«
Marius starrte seinen Vater an. Er war im Begriff, sein Erbe auszuschlagen. Ein unglaublicher Affront. Und sein Vater saß da und diskutierte mit ihm über seine zukünftige Wohnsituation. Das war doch absurd.
Sein Vater stieß ein trockenes Lachen aus. »Mach dir doch nichts vor, Marius: Du bist nicht aus so einem Holz geschnitzt. Wenn schon Berlin, dann wärst du in Zehlendorf besser aufgehoben. In einer hübschen repräsentativen Bürgerwohnung. Mit Tiefgarage und Wachschutz und einem Tennisplatz um die Ecke. Denkst du nicht auch?«
Marius wollte mit seinem Vater nicht über Berliner Stadtbezirke reden. Er wollte ihm lieber erklären, warum er das überhaupt tat. Weshalb er sich unwohl fühlte als Unternehmenserbe. Was ihn ritt, mit Nathalie durchzubrennen. Darüber sollten sie doch jetzt reden.
Aber das war unmöglich. Sein Vater zwang ihn allein mit seinen Blicken, sich seinem Willen zu fügen. Marius musste bei diesem Theater mitspielen.
»Es wird schon gehen«, sagte er mit erstickter Stimme. »Ich werde mich daran gewöhnen. Ich bin nicht allein.«
»Es wird schon gehen, denkst du also. Na, da bin ich gespannt. Ich würde gerne dabei zusehen. Jeden Morgen der Spießrutenlauf zur U-Bahn, vorbei an den ganzen Asozialen, die an den Straßenecken herumstehen. Ein Bild für die Götter. Ich frage mich, ob du vorhast, Einweghandschuhe zu tragen und einen Mundschutz.« Er lachte laut, aber es war ein böses und aggressives Lachen.
Dann fixierte er Marius mit kalten Augen. »Die Leute da riechen sofort, woher du kommst. Das ist dir hoffentlich klar? Sie spüren, was du über sie denkst. Wer du bist. Und vor allem merken sie, dass du schwach bist. Dafür haben sie nämlich einen hervorragenden Instinkt. Die warten nur auf einen wie dich, an dem sie ihren Frust ablassen können. Ein perfektes Opfer, auf das sie sich stürzen können. Sie werden dir das Leben zur Hölle machen.«
Marius schluckte. Er wollte das nicht hören. Er wollte weg von hier. Doch sein Vater war noch nicht fertig, und er wagte es nicht, in seiner Gegenwart aufzubegehren. Immer noch nicht.
»Was willst du tun, Marius? Dich wehren?« Er lachte. »Wie soll das funktionieren? Du bist feige, mein Junge. Du kannst dich nicht prügeln, dazu hast du kein Talent. Überhaupt kannst du dich nicht mit körperlicher Gewalt durchsetzen. Das habt ihr nämlich im Debattierklub nicht gelernt. Aber das ist die einzige Sprache, die diese Menschen da verstehen. Das Leben dort folgt anderen Regeln. Regeln, die du nicht kennst. Und du wirst sie auch nicht schnell genug lernen. Weil du nämlich ein Hasenfuß bist. Ich sag dir was: Du hast keine Chance.«
Marius kämpfte dagegen an, doch tief in seinem Herzen wusste er: Sein Vater hatte recht. Mit allem, was er sagte.
»Denkst du, deine schwarze Freundin wird dich beschützen?«, fuhr er mit unerbittlicher Härte fort. »Ich traue ihr das sogar zu. Aber was, wenn sie mal nicht dabei ist? Sie kann dich ja nicht Tag und Nacht beschützen.
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