Landgericht
hier? Suchte er ihn etwa? Wozu das Ganze? Er hatte Marius doch fortgejagt. Da war er unerbittlich gewesen. Es gab kein Zurück mehr. Keine Versöhnung. Was hatte er vor?
Marius suchte nach Worten. Doch dieses Wiedersehen traf ihn unvorbereitet, und bevor er irgendetwas sagen konnte, streckte sein Vater den Kopf heraus und befahl: »Steig ein. Beeil dich.«
23
Nicole Baar war anstandslos ins Präsidium gekommen. Sie trug ein Kostüm von Chanel, war perfekt geschminkt, und in ihrem Haar steckte eine Sonnenbrille von Dior. Als sie in Hambrocks Büro trat, wirkte sie ein wenig wie eine Gutsherrin, die gezwungen war, sich zum Personal an den Tisch zu setzen. Hambrock rechnete damit, dass sie sich zuallererst über die Arbeit der Polizei beschwerte. Doch das Gegenteil war der Fall. Offenbar war ihr bewusst, was sie herausgefunden hatten. Sie schien diese Schmach mit Würde tragen zu wollen.
Keller betrat ebenfalls das Büro. Er stellte sich vor und bot Nicole Baar einen Kaffee an. Sie lehnte ab.
»Sie wissen, weshalb wir Sie eingeladen haben?«, fragte Hambrock.
»Ich kann es mir denken.«
»Sie haben Jens Bentrup beauftragt, Ihren kleinen Bruder zu beschatten«, sagte er. »Wir haben Beweise dafür.«
Das war vielleicht ein bisschen übertrieben, denn bestenfalls gab es Indizien. Doch Nicole Baar schien sich nicht mit solchen Spitzfindigkeiten aufhalten zu wollen. Sie war aufgeflogen, das war ihr klar. Also nahm sie diese Niederlage mit Haltung hin.
»Ich bin nicht stolz darauf«, sagte sie. »Aber ich kann es auch nicht leugnen. Jetzt wissen Sie das also. Wie auch immer. Ich glaube nicht, dass ich mich damit strafbar gemacht habe.«
» Damit nicht«, warf Keller ein.
Sie bedachte ihn mit einem kühlen Blick. »Wollen Sie mir etwas unterstellen?«
»Wir möchten Sie bitten«, sagte Hambrock, »uns die Gründe dafür zu nennen. Es ist doch recht ungewöhnlich, einen Privatdetektiv auf seinen Bruder anzusetzen. Weshalb haben Sie Marius nachspioniert?«
Sie schwieg. Es wurde still im Büro.
»Frau Baar …«
Sie zupfte das Kostüm zurecht.
»Um mehr über ihn herauszufinden«, sagte sie. »Das war mir damals wichtig.«
»Aber weshalb? Was wollten Sie erreichen?«
»Ich wollte erreichen, dass er das Unternehmen verlässt«, sagte sie mit fester Stimme. »Das kommt Ihnen sicher kalt und egoistisch vor. Aber es ging nicht anders. Er war unfähig. Er war keine Leitungspersönlichkeit. Ihm fehlte die Autorität. Die Disziplin. Er besaß nicht mal das nötige Fachwissen. Das Unternehmen wäre den Bach runtergegangen, sobald er die Führung übernommen hätte. Das wollte ich verhindern.«
»Und weshalb Jens Bentrup? Welche Erkenntnisse haben Sie sich von seiner Arbeit erhofft? Was sollte der Ihnen liefern?«
»Mein Vater … Manchmal frage ich mich, ob er absichtlich vor der Wahrheit die Augen verschließt. Es war doch ganz klar, dass Marius überfordert war. Jeder konnte das sehen: Mein Bruder, Gott hab ihn selig, war ein Schwächling und ein Versager. Niemals wäre aus ihm ein würdiger Firmenchef geworden. Trotzdem. Mein Vater wollte ihn mit aller Kraft zu seinem Nachfolger umerziehen. Mein Vater kann verdammt stur sein, müssen Sie wissen. Was er sich einmal in den Kopf gesetzt hat, das zieht er gegen alle Widerstände durch. Damit hat er die Firma groß gemacht. Aber hier …« Sie schüttelte den Kopf. »Es fällt mir schwer, seine Motive in aller Breite nachzuvollziehen. Ich glaube, als er damals die Firma gegründet hat, als junger Mann, da war es schon sein Traum gewesen, eines Tages alles seinem ältesten Sohn zu übergeben. Eine fixe Idee, von der es kein Abrücken gab. Ich denke, irgendwo tief in ihm drin, war bis zum Schluss die Überzeugung, er könnte Marius noch zurechtbiegen. Es irgendwie noch schaffen, aus ihm einen ordentlichen Unternehmer zu machen.«
»Aber diese Überzeugung teilten Sie nicht«, stellte Hambrock fest.
»Ach, Unsinn. Es lag in Marius’ Charakter. Er war schwach. Und faul und dumm. Da gab es nichts zu erziehen. Das hat einfach seine Persönlichkeit ausgemacht. Ich wusste immer, wenn Marius ans Ruder kommt, ist es vorbei mit der Firma.«
Hambrock lächelte. »Und Sie wären die Richtige gewesen, um das Unternehmen zu führen?«
»Auf jeden Fall eher als Marius. Er kannte die Materie nicht. Er dachte, er könnte sich mit einem bisschen Betriebswirtschaft durchlavieren. Weder hatte er Ahnung von Agrarwirtschaft, noch brannte er fürs Unternehmen.« Sie blickte kühl auf
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