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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkoetter
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die Innenstadt. Es war ein riesiger Rummel, der sich durch die engen Altstadtstraßen zog. Sie mieden die Hauptwege und das Gewühl zwischen den Ständen und kletterten schließlich von hinten in das Weinzelt.
    Marius bekam ein weißes Hemd ausgehändigt, eine Schürze und ein Kellnerportemonnaie. Es fühlte sich wie Karneval an. Sein Chef, ein grobschlächtiger, übergewichtiger Machertyp, war deutlich jünger als er. Eine Tatsache, die Marius irritierte. Außerdem wirkte der Typ ziemlich ungebildet. Eigentlich sollte jemand wie er für Marius arbeiten und nicht umgekehrt. Doch er wollte keinen Ärger. Also blieb er freundlich und kooperativ und fügte sich in seine Rolle.
    Im Weinzelt und in seiner Kellnerkleidung fühlte sich Marius bald völlig fehl am Platz. Die Gäste behandelten ihn, als gehörte er zum Personal. Was natürlich zutraf. Dennoch. Er war doch keiner, der andere bediente. Das würde sich nie ändern.
    Irgendwann bummelten zwei Studienkollegen am Weinstand vorbei. Betriebswirtschaftler aus seinem Fachbereich. Sie beäugten die Karte und schienen zu überlegen, ob sie sich an einen der Tische setzen sollten. Doch dann stieß einer dem anderen in die Seite und deutete unauffällig zum Tresen, wo Marius Flaschen entkorkte und so tat, als hätte er sie nicht bemerkt. Sie flüsterten miteinander, nickten sich zu und schlenderten schließlich unauffällig weiter. Offenbar wollten sie sich und Marius in keine peinliche Situation bringen. Er war ihnen unendlich dankbar dafür.
    »Und? Wie läuft’s?« Mikey war neben ihm aufgetaucht.
    In der Kellnertracht sah er direkt seriös aus, trotz der Tätowierung, die am Hals unter dem weißen Kragen hervorlugte.
    »Klappt doch ganz gut, die Arbeit. Oder nicht?«
    Marius verzog das Gesicht. »Kaum zu glauben, dass ich erst vierundzwanzig Euro verdient habe. Nach einer gefühlten Ewigkeit. Mir tun schon die Beine weh.«
    Mikey lachte. »Willkommen im Proletariat.«
    Er nahm ein Tablett und kehrte zurück zu den Tischen.
    Marius spürte die Blicke seines Chefs. Er schien zu spüren, dass Marius nicht hierherzugehören glaubte. Und wohl auch, was er über ihn dachte. Denn sein Gesicht war finster und voller Verachtung. Wenn Marius nicht aufpasste, würde er es auf einen Machtkampf ankommen lassen, den Marius in seiner Position natürlich nur verlieren konnte. Doch diese Genugtuung würde er dem Fettsack nicht gönnen. Also nahm er sein Tablett, begrüßte mit übertriebener Freundlichkeit eintreffende Gäste und teilte Weinkarten aus. Und nach einer Weile verlor sein Chef tatsächlich das Interesse an ihm.
    Marius arbeitete schnell und konzentriert. Auch dieser Abend ist irgendwann zu Ende, sagte er sich. Noch ein paar Stunden, dann wäre er wieder bei Nathalie.
    Die Dämmerung legte sich über die Stadt, und die Gassen zwischen den Ständen leerten sich zunehmend. Von einer Bühne drang Rockmusik. Marius fiel irgendwann auf, dass Mikey gar nicht mehr hinterm Tresen stand. Er blickte sich um. Doch nichts. Er trat aus dem Zelt und suchte die Umgebung ab. Schließlich entdeckte er Mikey ein Stück entfernt an einer Häuserwand, umgeben von seltsamen Leuten, die nicht aussahen, als wären sie Freunde von ihm. Blasse und langweilig wirkende Typen mit Poloshirts und ordentlichen Frisuren. Einer trug eine Bomberjacke und Schnürstiefel.
    Marius überkam ein Verdacht. Er trat ein paar Schritte näher. Die jungen Männer hatten finstere Gesichter aufgelegt. Sie umkreisten Mikey. Steckte er etwa in Schwierigkeiten? Brauchte er Hilfe? Hatten diese Typen womöglich etwas mit Roland zu tun?
    Es waren kaum noch Gäste im Weinzelt. Marius legte die Kellnerschürze beiseite und steuerte auf die Gruppe zu. Er würde Mikey mit diesen Idioten nicht alleine lassen. Wenn das Kumpel von Roland waren, konnten sie sich auf was gefasst machen. Er hatte endgültig die Nase voll.
    An der Rückseite des Weinzelts rollte hinter einer Absperrung ein dunkler Mercedes der S-Klasse heran. Das gleiche Modell, das sein Vater fuhr. Doch Marius achtete nicht weiter darauf. Der Wagen gehörte sicher zu jemandem, der hier einen Stand betrieb. Er kletterte über eine Absperrung und ging auf die Gruppe zu.
    Der Mercedes rollte an ihm vorbei und blieb stehen. Das verspiegelte Seitenfenster glitt herunter. Marius traute seinen Augen nicht. Da saß sein Vater.
    Sein erster Gedanke war: Ein Glück, dass ich die Kellnerschürze abgelegt habe. Danach stürzten zahllose Fragen auf ihn ein. Was machte sein Vater

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