Landleben
Kinder brauchten es, doch es gehörte der Kir-
che, und ein Teil von Larsons Gehalt war das Wohnrecht
darin. Unglücklicherweise ging es auf Weihnachten zu,
mit der Flut von Festtagen und Veranstaltungen für alle,
von Jugendgruppen bis zu Altenkreisen, denen traditio-
nell die Frau des Geistlichen vorstand. Zu den Pflichten
des Pfarrers gehörte es in diesen dunklen Tagen, eine prä-
sentable Ehefrau zu haben, die willens und in der Lage
war, ihn bei seinen sozialen Aufgaben in der Gemeinde
zu unterstützen. Julia erfüllte ihre Pflicht reibungslos:
kein Gläschen Weihnachtspunsch wurde verschüttet, kein
Mitglied des Jugendchors ging bei der Verteilung von Ei-
erlikör und Lebkuchen leer aus, auch wenn unterdessen
Owen und sein Bett in seinen unordentlichen Räumen in
der Covenant Street auf ihre Rückkehr warteten. Wenn sie
dann endlich zu ihm kam, noch in dem keuschen grauen
Strickkleid der Gastgeberin im Pfarrhaus, erklärte sie ihm
in ihrem Überschwang: «Eine Frau ist es gewöhnt, auf ver-
schiedenen Ebenen zu leben. Sich aufzuteilen gehört zu
ihrer Biologie. Das ist keine Heuchelei; es gehört sich ein-
fach so, nicht alles von sich auf einmal zu zeigen. Was bist
du doch für ein heikler, eifersüchtiger Freund, Owen! Wie
aufregend für mich, mit jemandem zusammen zu sein, der
so unschuldig ist.»
«Arthur war nicht so, meinst du?»
«Also – das soll deine Gefühle nicht verletzen, Schatz,
aber es ist nicht leicht, einen Geistlichen zu schockieren.
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Er bekommt die schlimmsten Sachen zu hören, jeden Tag
in der Woche. Die Leute erzählen ihm liebend gern, wer
weiß warum.»
Auf diese Phase, in der Julia nach außen hin das Zusam-
menleben mit ihrem illusionslosen Ehemann weiterführ-
te, gingen womöglich die Träume zurück, die Owen noch
fünfundzwanzig Jahre später plagten, Träume, in denen sie
ihm entglitt, unter dem sozialen Netz der Stadt, oder in
de n
ne er von ihr einfach verlegt wurde, während
sie die
vertrauten Aufgaben der loyalen Pfarrfrau erfüllte.
Es war die Kirche selbst, die in ihrer Weisheit den
Pfarrer auf die Peinlichkeit dieser Situation aufmerksam
machte und mit einer Lösung aufwartete: Der Leiter des
Kirchenvorstands, ein pensionierter und verwitweter ehe-
maliger Banker aus Providence, der ein für ihn unnötig
großes Herrenhaus mit Blick auf die Gemeindewiese von
Middle Falls bewohnte, erklärte, Reverend Larson könne
sehr gern bei ihm wohnen, bis Mrs. Larson und die Kinder
eine geeignete Unterkunft – vorzugsweise in einer ande-
ren Stadt – gefunden hätten. Als die Schulen schließlich
im Juni des Sommers der Zweihundert-Jahr-Feierlichkei-
ten schlössen, zog Julia mit dem kleinen Tommy und mit
Rachel zu Julias Schwester in Old Lyme. Diese Zeit der
Trennung, in der Owens verlobte Geliebte unter dem vor-
wurfsvollen Blick ihrer Schwester nur eine paar hastige
Briefe an ihn schicken konnte, mochte ebenfalls beigetra-
gen haben zu seinen beharrlichen Albträumen, er könnte
sie verlieren oder ihre Verbindung könnte einfach abbre-
chen und verstummen – wie die ersten, anfälligen trans-
atlantischen Kabel, die auf dem zerklüfteten Boden des
Atlantiks verlegt worden waren. Ihre Briefe, fehlerlos mit
einer elektrischen Schreibmaschine auf blaues Briefpapier
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getippt, machten ihm Sorgen, weil sie so sonnig und un-
bekümmert klangen; sie enthielten keine nachträglichen
Bedenken, kein Geständnis des Bereuens, keine sorgfältig
formulierten Zweideutigkeiten. Sie genieße es, wieder da
zu sein, wo sie aufs Meer blicken könne. Der Fluss und sei-
ne Gefälle lägen hinter ihr. Rachel nehme Reitunterricht
und sei begeistert; Tommy, bislang immer so wasserscheu,
könne inzwischen die ganze Länge des Swimmingpools
in dem komischen kleinen Strandclub durchschwimmen.
Arthur, der oft zu Besuch komme, sei sich nicht sicher, ob
er nach alldem weiterhin im Pfarramt bleiben wolle. Die
Epiphaniasgemeinde zähle die Tage, bis er gehe, obwohl
man zu höflich sei, das auszusprechen. Obwohl der Apostel
Paulus vor der Ehe gewarnt habe, sei es im gegenwärtigen
Stadium kirchlicher Gewohnheiten schwierig, für geschie-
dene Geistliche neue Stellen zu finden, selbst in Stadtge-
meinden. Einer der Kirchenältesten, ein pensionierter Ge-
schäftsmann, habe Arthur von wunderbaren Möglichkeiten
erzählt, die sich einem ehemaligen Geistlichen, sofern er
bereit sei, näher nach
a
Manhatt n zu ziehen, im
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